Die glühenden Kohlen
Als einer von Gottholds Hansgenossen einen Flecken in sein Kleid unvermuthet bekommen hatte, hieß er ihn einen silbernen Löffel voll glühender Kohlen nehmen, den Flecken mit Makulatur bereiten und den Löffel darauf halten, da denn alsofort die Fettigkeit sich ins Papier zog und die Stelle, die sie befleckt gehabt, kaum zu erkennen war. Dabei gab er ihm die Lehre und Erinnerung: Lernet hier, wie ihr mit eures Nächsten Fehlern verfahren und einem erzürnten und feindseligen Menschen begegnen sollt; Scheltwort um Scheltwort geben und Bitterkeit mit Galle vertreiben wollen, steht einem Christen nicht zu, wie das Exempel dessen, von dem er den Namen hat, bezeugt, 1. Petr. 2, 23., und macht übel nur ärger. Beten aber für seine Beleidiger, mit Sanftmuth und Bescheidenheit ihnen begegnen und keine Gelegenheit, seinen guten Willen und versöhnliches Herz ihnen zu erkennen zu geben, versäumen, auch nach Vermögen ihnen Gutes thun und ihren Schaden verhüten, das sind glühende Kohlen, die man über ihr Haupt und Herz sammelt und damit viele tief eingesessene, feindselige Flecken vertreibt, und hievon lasset euch nichts abhalten, auch das beste Recht und die klarste Unschuld nicht, denn eine gute Sache kann böse werden, wenn man sie unglimpflich führt und sie zum Bösen einrichtet und gebraucht. Seid ihr unschuldig an der Beleidigung eures Nächsten, so könnt ihr doch schuldig werden an der Versäumung seiner Bekehrung und ewigen Wohlfahrt. Wer seinen Nächsten nicht allein nicht beleidigt, sondern auch, wenn er von ihm beleidigt ist, es ihm herzgründlich verzeiht und ihn wieder zurecht zu bringen bemüht ist, der gewinnt entweder seinen Bruder und hat mehr, als die Welt werth ist, gewonnen, oder zum wenigsten hat er ein gutes Gewissen erjagt und sich von einer schweren Verantwortung losgewirkt. Die glühenden Kohlen dürft ihr nicht weit suchen; brennt in eurem Herzen die Flamme christlicher Liebe, so wirds euch so wenig an Gelegenheit, auch dem Feinde Gutes zu thun, fehlen, als es ehemals auf dem Altar des Alten Testaments, darauf das h. Feuer nimmer erlöschen mußte, 3. Mos. 6,12., an glühenden Kohlen hat fehlen können. Ach, frommer und geduldiger Gott! wie schwer ist es der verderbten Natur, Böses leiden und Gutes thun, Fluch einnehmen und Segen ausgeben, den Feind bei der Hand, damit er einen geschlagen hat, erfassen und küssen. Jedennoch sind deine Gebote nicht schwer denen, die dich lieben; gieß in mein Herz ein flammendes Tröpflein deiner Liebe, so wirds mir an glühenden Kohlen für meine Beleidiger nicht fehlen.
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