Die geringe Arznei
Es ward Gotthold ein schlechtes Kräutlein, auf den Mauern wachsend, von einem armen Weibe gemeldet mit dem Bericht, daß es wider die Fäule des Zahnfleisches, vom Skorbut herrührend, ein bewährtes Mittel wäre, welches er auch auf Versuchen also wahr befunden. Hierüber verwunderte er sich und sprach bei sich selbst: nun glaub ich kaum, daß ein theures Mundwasser oder köstliche Tinktur, in der Apotheke aus vielen Dingen zubereitet, ein mehres hätte thun sollen, als der Saft dieses unansehnlichen und unbekannten Kräutleins! Mein Gott! du bleibst bei deiner alten Gewohnheit, daß du, was von den Menschen verachtet ist, erwählst und zu großen Dingen gebrauchst. Ich kann es auch nicht anders, als eine deiner verborgenen Wohlthaten rühmen, daß die Armen mit geringer und unwertherr Arznei sich oft so glücklich und wol glücklicher, als die Reichen Mit kostbarer kuriren, daraus man handgreiflich abnehmen kann, daß, wie hoch du dich auch gesetzt hast, du dennoch auf das Niedrige im Himmel und auf Erden siehst, Ps. 113, 5. 6., und beweisen willst, daß ein schlechtes Kräutlein mit deiner Gnade und Segen mehr vermag, als die ganze Apotheke ohne dieselbe, und daß der Mensch nicht allein lebe vom Brod und vielen theuren Arzneien, sondern von einem jeglichen Wort, das aus deinem Munde geht. Matth. 4, 4.
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