Die geraubte Biene
Gotthold stand vor einem Immenhaus und sah mit Lust zu, wie diese Honigvöglein ab- und zu reiseten und mehrentheils wohl beladen mit dem Blumenraub wieder heimkamen; indessen schnurrte auch daher eine große gelbe Horniß, ein rechter Immenwolf, der seinen Raub begierigst suchte. Als es nun um die Abendzeit war, und die Bienen um die Fluglöcher sich ziemlich dick, ohne Zweifel nach überstandener Tageshitze kühle Luft zu schöpfen, gesetzt hatten, war es lustig anzusehen, daß dieser grimmige Feind an die Menge und geschlossenen Haufen sich nicht machen durfte, sondern, ob er wohl sich nahe genug hinanthat, dennoch, wenn er sie so nahe und fest an einander sitzend bemerkte, leer abziehen mußte, bis endlich eine geflogen kam, die sich vielleicht etwas verspätet hatte; diese griff er sofort an, fiel mit ihr zur Erde und handelte mit ihr nach seinem Willen. Gotthold dachte bei sich selbst: was ist es doch ein edles Ding um die vertrauliche Einträchtigkeit! Wäre dieses Bienlein, welches vielleicht weiter, als andere sich hinausgewagt und desto später wiedergekommen, in der vereinigten Schaar gewesen, es wäre seinem Feinde nicht zu Theil geworden. Wie gehts denn immermehr zu, daß wir Menschen die Gefahr der Uneinigkeit so schlecht halten, da doch dem Seelenfeind niemals seine Anschläge besser gerathen, als wenn er uns durch Mißhälligkeit und Neid getrennt sieht? Ach wie fein und lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig bei einander wohnen, Ps. 133, 1. Hilf, mein Herr Jesu! daß wir eines Sinnes seien, gleiche Liebe haben, einmüthig und einhällig seien, und die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens zu halten stets beflissen sein mögen, Phil. 2, 2. Eph. 4, 3., auf daß der Gott der Liebe und des Friedens mit uns sei, 2. Cor. 13, 11., und der höllische Räuber keine Macht an uns finde!
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