Die gefalteten Hände
Als nach gehaltener Mahlzeit das Gebet verrichtet wurde, fiel die Frage vor: was die gefalteten Hände beim Gebet bedeuten möchten. Gotthold sagte: Die äußerliche Stellung des Leibes im Gebet ist zu unterschiedlichen Zeiten bei unterschiedenen Völkern unterschiedlich gewesen. Im Alten Testament, auch zu Anfang im Neuen, hat man mit ausgestreckten Armen und Händen gebetet, so, daß der Betende ein vollkommnes Kreuz dargestellt, welches nach der gottseligen Väter und anderer gelehrten Männer Auslegung zur Erinnerung des gekreuzigten Herrn Jesu geschehen, als auf welchen unser Vertrauen zu Gott muß gegründet sein. Was aber unser Händefalten betrifft, kann selbiges ein und anderes gottseliges Nachdenken verursachen. Die Daumen liegen kreuzweise über einander und lehren, daß man nicht anders, als wegen des gekreuzigten Herrn Jesu Erhörung hoffen und erwarten soll. Die fest in einander geschlossenen Finger lehren, daß man in Einträchtigkeit und mit friedfertigem, versöhnlichem Herzen beten müsse; denn wenn unsere Herzen durch Unfried und Mißhälligkeit getrennt sind, so kann dem Gott des Friedens unser Gebet nicht gefallen. Man befindet auch in der Erfahrung, daß bei wachsender Andacht im Gebet man die Hände immer fester zusammen schließt, als hätte man etwas darin gefaßt, das man gerne fest halten wollte; davon sagte einmal ein gottseliger Mann: Mir ist beim Gebet oft zu Muth, als wenn ich das Vaterherz meines Gottes und die blutige Hand des Herrn Jesu zwischen meinen Händen gefaßt hätte; denn ich erinnere ihn seiner göttlichen, unbegreiflichen Gnade und Liebe und ergreife meinen Herrn Jesum bei seiner Verheißung und bemühe mich ihn fest zu halten, sagend: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn, i. Mos. 32, 26. Ein anderer sagte: Ich hebe zwar meine Hände zu Gott auf, andeutend, daß ich willig sei an meine Berufsarbeit meine Hände anzuschlagen, aber weil sie gefaltet und in einander verbunden sind, bezeuge ich damit, daß außer meines himmlischen Vaters Segen, Beistand, Gnade und Schutz mir die Hände gebunden sind, und ich etwas Gutes und Heilsames auszurichten mir nicht getraue. Weil wir auch wissen, daß zum rechtmäßigen Gebet die Andacht des Herzens erfordert wird, können uns die in einander geschränkten Finger erinnern, daß wir unsere Gedanken unterm Gebet nicht hin und wieder flattern lassen, sondern durch einen heiligen Vorsatz fest in einander schließen und auf das Einige richten sollen, daß wir Gott im Geist und in der Wahrheit anrufen mögen. Joh. 4, 24. So geben auch schließlich die gefalteten Hände Anlaß zur Demuth im Gebet, weil wir uns als Uebelthäter, mit gebundenen Händen gleichsam dem gerechten Gott darstellen, erkennend, daß wir mit unsern vielfältigen Sünden an Händen und Füßen gebunden und in die Finsterniß hinaus geworfen zu werden verdient haben, darum wir denn allein Gnade und kein Recht begehren. Mein Herr Jesu! gieb mir, wenn ich bete, ein gläubiges, gelassenes und demüthiges Herz, so werde ich niemals umsonst beten!
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