Die Gedanken

Gotthold fand einen seiner Hausgenossen in tiefen Gedanken sitzend und fragte ihn: Was sinnt, was denkt ihr so? Der antwortete: Nichts. Gotthold fuhr fort: Es ist unmöglich, daß der Mensch nichts gedenken sollte; man soll sich aber billig also gewöhnen, daß man keine andere Gedanken habe, als solche, die man auf unverhofftes Befragen bekannt zu machen nicht Scheu haben dürfte, in Betrachtung, daß sie zwar Menschen, nicht aber Gott verborgen sein können. Das Herz ist, wie die Gedanken sind, denn wie man, auch wenn ein Gefäß ausgeleert ist, lange Zeit riechen kann, was darinnen gewesen, also lassen die Gedanken ihre Art und Beschaffenheit im Herzen. Wie man nun ein unreines und stinkendes Gefäß mit edlem Wein nicht füllt, so wird Gottes Gnade in ein Herz, das sich mit bösen Gedanken willig verunreinigt, sich nicht ergießen. Die Gedanken sind der Seele Flügel, damit sie sich entweder gen Himmel schwingt, oder in die Hölle, sie kann sich damit als Noah Täublein auf einen Oelbaum schwingen und ein Zweiglein abbrechen, oder, wie der Rabe auf ein Aas fallen und sich verunreinigen; sie sind der Seele oder des Herzens Vermögen, Besitz und Reichthum, wie sie Hiob nennt, 17, 11., weil die Seele ihre Lust und Kraft darinnen hat. Es gilt aber dieser Schatz des Herzens nach dem Gepräge; welche Gedanken nicht mit dem Siegel Gottes, mit der Liebe Jesu und dem Zeichen seines H. Geistes bemerkt sind, die sind billig für ungültig und als eine falsche Münze zu halten. Sehet euch demnach wohl vor, daß ihr nicht böse Gedanken in euren Herzen hauset und heget. Ich sage nicht, daß ihr keine böse Gedanken haben sollt, denn ich möchte zu viel und was dem menschlichen Herzen nach dem Fall unmöglich ist, sagen und fordern; das Herz ist eine Herberge, darinnen billig keine andere, als himmlische Gedanken, die vom Himmel kommen und zum Himmel gehen, sollen aufgenommen werden; geschiehts aber, so wird es einem Hurenwinkel und Garküche gleich, darin sich allerlei liederlich Lumpengesindel zu versammeln pflegt, wohin Gott der Herr zielt, wenn er fragt, Jer. 4, 14.: Wie lange sollen die Gedanken deiner Eitelkeit bei dir bleiben, herbergen und übernachten? Die erste Stufe zur wirklichen Sünde ist, böse Gedanken haben, die andere, dieselben lieben und hegen. Ein ausländischer Lehrer (Thomas Godwin) sagt sehr füglich, der Erbsünde erstgeborne Kinder wären die bösen Gedanken, aus welchen alle andern Sünden herstammten, sie wären die rechten Kuppler, welche zu den wirklichen Sünden weidlich hülfen und dergleichen. Ein anderer vergleicht sie den Würmern und Maden, die aus dem faulen und ungesalzenen Fleisch wachsen, welche in demselben wudeln und es verzehren und greulich stinkend machen. Als nun obgemeldete Person hierauf sagte: Ach, man kann ja öfters der bösen Gedanken nicht los werden; sie sind wie die Mücken; je mehr man sich mit ihnen jagt oder schlägt, je häufiger kommen sie wieder. Gotthold antwortete: Gleichwie eine keusche und ehrliebende Frau oft es nicht verwehren kann, daß ein unzüchtiger Mensch ihr nicht sollte nachgehen, von seiner vermeinten Liebe mit ihr reden, ihr Briefe schreiben, des Nachts um ihr Haus gehen, ihr eine Musik bringen, so kann sie ihn doch hart und rauh abweisen, seine Briefe zerreißen und die Fenster zumachen und die Ohren von ihm und seinem Thun abwenden, endlich auch ihrem Ehemann alles entdecken und um Hülfe bitten. So gehts auch mit der gläubigen und gottseligen Seele zu, welche oft des Teufels gottloses Einsprechen leiden muß, doch demselben mit großem Eifer widerspricht und dasselbe zurückschlägt nach allen Kräften und Vermögen. Ihr Bestes aber ist, daß sie sich zu Gott wendet und es ihm mit Thränen klagt, auch mit ihm und seiner Liebe, wie auch mit anderer ordentlichen Berufsarbeit sich so viel zu thun macht, daß sie auf des Satans Anbringen Achtung zu geben der Weile nicht hat. Herr Jesu! meine Seele ist eine Herberge und hat einen Schild ausgehangen mit dem Zeichen eines zerrissenen Herzens und der Unterschrift: Zum zerbrochenen Herzen. Hier soll niemand aufgenommen werden, als du, mein Erlöser! und was von dir kommt und zu dir geht; und schleicht zuweilen von Teufelsboten (bösen Gedanken) etwas mit ein, so will ich nicht ruhen, bis sie hinaus müssen; hilf du mir dazu, daß deine Wohnung allezeit sauber und von solchen Schmeißfliegen unbefleckt behalten werde!

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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