Die Eule

Gotthold sah, als er bei einem Landgute vorüber reiste, daß man eine todte Eule am Thor desselben angenagelt hatte. Wisset ihr, sprach er zu seinem Gefährten, was es bedeutet, daß man diese Vögel zum öffentlichen Spektakel also anheftet? Es ist ein alter Aberglaube, aus dem Heidenthum herfließend. Selbiges, weil es viel auf die Vögelwahrsagerei hielt und die Eulen für Unglücksboten achtete, hat ihnen, wenn sie mit ihrem Geschrei ihrer Meinung nach ihnen etwas Böses angekündigt, mit Fleiß nachgetrachtet, bis es sie lebendig oder todt in die Hände bekommen, da sie denn also aufgeheftet worden in der Meinung, daß alles Unglück solchermaßen über sie käme und die Einwohner davor gesichert würden. Nun wäre zu wünschen, daß kein Christ solcher Thorheit nachhinge, allein ich kann mich wohl erinnern, daß ich oft gehört, wie die Leute sich über das Eulengeschrei allerlei furchtsame Gedanken machen, etliche auch wol sagen: Rufe über deinen eignen Hals! Und wenn einer sich Zeit nehmen wollte, allen Aberglauben, der noch der Christen Herzen beherrscht, zu bemerken und zu verzeichnen, ihr solltet Wunder sehen, was es für ein großes Register werden würde. Ists aber nicht eine Schande, daß ein Christ so unchristlich ist, daß er vor eines Vogels, den Gott erschaffen hat, Geschrei sich fürchtet und Abscheu hat! Einen schrecklichen Fluch aber, ein schandbares und unnützes Wort, das aus seinem oder andern Munde geht, nicht achtet, da man doch wegen dieser mehr, als wegen jenes, sich Unglück und göttliche Strafe zu befahren hat. Ich will aber hiebei noch weitere Gelegenheit zu guten Gedanken nehmen. Die Eule ist ein Vogel, der das Licht scheut und die Finsterniß liebt; des Tages sieht man sie selten, bei der Dämmerung aber machen sie sich hervor und suchen ihre Nahrung; kommen sie bei Tag hervor, so sind die andern kleinen Vogel häufig um sie her entweder aus Verwunderung, oder angeborner Feindschaft. Solchermaßen sind sie ein Vorbild gottloser Weltkinder, die die Finsterniß mehr lieben, als das Licht; selbige sind klug und scharfsichtig in eitlen, vergänglichen und sündlichen Sachen; in göttlichen, geistlichen und himmlischen aber sehen und verstehen sie weniger, denn nichts. Ein böser Mensch bringt auch mit seinem ärgerlichen Exempel und gottlosen Reden oftmals viel andere vom Wege der Gottseligkeit ab, und wie der Vogler viel kleine Vögel auf der Leimruthe mit der Eule fängt, also muß ein böser Mensch dem Teufel viele andere zu berücken und zu verführen dienen. Aber was es für einen Ausgang gewinnt, dessen können wir uns bei diesem angenagelten Vogel erinnern; sie haben die Werke der Finsterniß geliebt, drum werden sie in die äußerste und ewige Finsterniß hinaus geworfen und mit den Nägeln der göttlichen schrecklichen Gerichte und der unendlichen Ewigkeit an der Höllenpforte zur ewigen Qual angeheftet. Darum lasset uns ablegen die Werke der Finsterniß und anlegen die Waffen des Lichts, lasset uns ehrbarlich wandeln als am Tage, nicht in Fressen und Saufen, nicht in Kammern und Unzucht, nicht in Hader und Neid! Röm. 13, 12. 13.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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