Die Eitelkeit

Als in einer Gesellschaft ein Glas unversehens zerbrochen ward, sagte einer: "Glück und Glas, wie bald bricht das!" und erinnerte dabei, was von Luther erzählt wird, dass er wenige Tage vor seinem seligen Ende dem Justus Jonas ein Glas gebracht und dabei einen merkwürdigen Denkspruch getan von ihrer beiderseits Sterblichkeit.

Gotthold tat hinzu: Weil wir an diesem zerbrochenen Glase eine Erinnerung haben von der Eitelkeit aller weltlichen Sachen, so lasst uns, um die Zeit mit erbaulichen Gesprächen zu verbringen, ein jeder ein nachdenkliches Bild der Eitelkeit vorstellen, wozu ich mit eurem guten Belieben den Anfang machen will. Hierauf forderte er ein Blatt Papier nebst einem brennenden Lichte, zündete das Papier auf dem Tische an und ließ es ausbrennen, da denn, nachdem die Flammen vergangen, wie bewusst, die laufenden Funken auf dem ausgebrannten Papier zu sehen waren. Hier habt ihr, sprach er, ein schickliches Bild der Eitelkeit; was sind die Menschen anders, als die in der Asche eine Weile scheinenden und laufenden Funken? Und was ist die Welt anders, als ein Aschenhaufen? Wenn ihr die Menschen sehet stolzieren, prangen und mit großem Gepränge oder Phantasie (Apg. 25,23) in den Kirchen, auf den Gassen, auf Hochzeiten, an Herrenhöfen, in vornehmen Städten daher treten, so denket, dass es solche Funken sind, die eine Zeit lang in der Eitelkeit scheinen und laufen, bald aber verschwinden; vergesset aber nicht, dass ihr selbst auch mit darunter seid, und dass die Zeit bald kommen wird, da man auch nach euch fragen, aber euch nirgends finden wird.

Der andere sagte: Ich halte, man könne die Eitelkeit aller Dinge ohne große Mühe mit einem Schnippchen oder Klitschen der Finger vorstellen, worin wir die Schrift nach der Verdolmetschung Luthers (Jes. 51,6) zur Vorgängerin haben, wenn sie spricht: "Der Himmel wird wie ein Rauch vergehen, und die Erde wie ein Kleid veralten, und die drauf wohnen, werden dahin sterben" wie das, wo selbst Dr. Luther hinzu setzt: Solches. Das muss man mit einem Finger zeigen, als schlüge man ein Klipplein mit Fingern, wie man sagt: ich gebe nicht das darum! Wobei ich mich erinnere, was gelehrte Leute berichten, dass auf dem Grabe des Sardanapal ein Bild gestanden, dessen Finger so gestaltet, als wollte es ein Schnippchen damit schlagen, anzudeuten, dass alle irdische Dinge für nichts zu achten wären.

Der Dritte sagte: Ich will das meinige vom Hiob entlehnen, welcher spricht, der Mensch sei einem fliegenden (einem dürren, damit der Wind unterm Baum spielt) Blatte und einem dürren Halm gleich (Hi. 13,25). Und es wäre zu wünschen, dass die Menschen bei ihren prächtigen Gastmahlen und fröhlichen Zusammenkünften unier andern Gerichten und Trachten zuweilen eine verdeckte Schüssel mit solchen dürren Blättern angefüllt mit aufsetzen und sich dabei ihrer Sterblichkeit erinnern möchten.

Der Vierte sagte: Ihr wisset, dass auf unsern Feldern und in unsern Gärten häufig eine gelbe Blume wächst, die endlich, nachdem die Blätter abgefallen, in ein wie mit weißer Wolle bedecktes Haupt verwandelt und daher unter den Kräutern das Mönchshaupt genannt wird. Dieses Haupt war erst eine Blume, hernach ein ansehnliches Ding, wenn aber der geringste Odem es anbläst, so zerstäubt die Wolle und es bleibt nichts, als ein Bild einer glatten und kahlen Hirnschale. So sind die Menschen vom Höchsten bis zum Niedrigsten, darum wäre zu wünschen, dass die Gewaltigen dieser Welt diesem geringen und gemeinen Kräutlein in ihren Lustgärten auch möchten eine Stelle gönnen zum Gedächtnis der Nichtigkeit des Weltwesens, wiewohl sie auf eine andere Art zu eben diesem Zweck auch gelangen könnten, wenn sie nämlich in solchen ihren Lustgärten, wie ehemals Tarquinius getan, mit einem Stabe die eine oder andere hohe und prächtige Blume herabschlügen, dabei gedenkend, dass es Gott eben so leicht sei, sie aus ihrem Glück ins Unglück, aus ihrer Hoheit in die Niedrigkeit, von ihrem Thron auf den Mist- oder Aschenhaufen, aus dem Leben in den Tod zu setzen.

Der Fünfte sprach: Nicht ohne Ursache hat es Gott in der Natur so verordnet, dass, wo der Mensch im Licht hingeht, ihm der Schatten entweder zur Seite wandelt, oder auf dem Fuß folgt, damit er bei seinem Wohlstande ein stetiges Denkmal der Flüchtigkeit und Eitelkeit haben möchte, wobei ich gedenke an das, was Markus Polus berichtet von den Einwohnern des Landes Lak oder Loak in Indien, dass, ehe sie etwas kaufen, sie zuvor ihren Schatten betrachten und darnach erst den Kauf schließen; und wünsche, dass wir dergleichen auch bei all unsern Geschäften, Prangen, Schmücken, Gastieren und dergleichen tun möchten!

Gotthold schloss endlich und sprach: Ich halte, es sollte uns nicht schwer fallen, dass wirs noch einmal ließen umher gehen und dergleichen mehr vorbrächten; allein, weil der Abend herbei kommt, und wir uns nach der Ruhe sehnen, so will ich noch dies Einige hinzu tun; sehet, bisher haben wir mit einander gegessen, getrunken, gesprochen, gescherzt, jetzt gehen wir von einander und in einer Stunde liegen wir und schlafen, von unserer heutigen Lust nicht mehr wissend, wo sie nicht einem oder dem andern im Traum vorkommt. Also leben wir noch heute, vielleicht auch noch morgen, bald aber sind wir der Eitelkeit müde und entschlafen; darum lasst uns mit nach Hause nehmen, was der weise König zum Grunde seiner Weisheit gelegt hat: Es ist alles eitel! (Pred. 1,2). O Eitelkeit über Eitelkeit in allen Dingen!

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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