Die Einbildung
In einer Stadt ging ein armer Mann umher in zottigen Fellen, den Kleidern und sammelte sich, wo er konnte, etwas zu seinem Unterhalt, und wenn er zu arbeiten ermahnt ward, gab er zur Antwort: Kaiser, Könige, Fürsten und Herren dürfen nicht arbeiten. Daraus, wie auch aus andern seinen Worten, Werken und Geberden war leicht abzunehmen, daß er sich im Wahnwitz, ich weiß nicht, was für Hoheit einbildete. Als nun Gotthold einmal mit guten Freunden hievon redete, sprach er: Man findet merkliche Exempel solcher närrischen Einbildung. Zu Athen ist einer gewesen, Thrasyllus Aeroneus benamt, der sich eingebildet, alle Schiffe, die im Hafen der Stadt anlandeten und ausfuhren, wären sein, darum er auch sein Register darüber gehalten und bei ihrer Abreise ihrethalben sich bekümmert, bei ihrer glücklichen Wiederkunft aber sich übermaßen gefreut. Ein anderer, ein gelehrter und berühmter Jurist, ist durch Eigendünkel und Ehrgeiz in die Thorheit gerathen, daß er vermeinte, er wäre mit einhälligen Stimmen der Kardinäle zum Pabst erwählt, welches er sich auch nicht wollte ausreden lassen, und in dieser hoffärtigen Thorheit pflegte er doch mit Ernst zu sagen, er hätte in vielen Jahren keine Anfechtung von eitler Ehre gehabt. Lernet aber hiebei, wie große Ursach wir haben, Gott für einen gesunden Verstand zu danken und ihn herzlich zu bitten, daß er uns vor stolzem Eigendünkel und Hochhaltung unserer selbst behüten wolle. Des Menschen Vernunft ist wie eine subtile und künstliche Uhr, die leicht ins Stocken geräth und ohne Unterlaß des Meisters Aufsicht und Hand bedarf. Thut Gott die Hand von uns ab, so können wir viel närrischer werden, als jemals solche Leute gewesen sind. Vor allen Dingen hütet euch vor Stolz und Hoffart, die aller Thorheit Mutter und Säugamme ist. Ein stolzer Mensch spiegelt sich in seinen eignen Gaben, er hat Gefallen an ihm selbst, er dünkt sich klug, fromm, gelehrt, ansehnlich, nützlich vor allen andern, und das ist die gefährlichste Einbildung, darin einer immer fallen kann, weil er sich entweder selbst betrügt und sich anmaßt, was er nicht hat, oder sich doch aller Belohnung bei Gott verlustig und unfähig macht. Wohl hat ein alter Lehrer gesagt: „ein hoffärtiger Mensch, der in allen Dingen seinem eignen Sinn folgt, der bedarf keines Teufels, der ihn versuche und zu Fall bringe, weil er ihm selbst Teufels genug ist.“ (Joh. Gerson.) Ach, mein Herr Jesu, du demüthiges Herz, behüte mich vor Stolz! Ich könnte keine größere Thorheit begehen, als wenn ich mir einbildete, daß mein Verstand allein genug sei, mein Leben zu regieren; regiere du mich und beschere mir alle zeit Herzen, die mir das Beste rathen, mir aber den Sinn, daß ich gern gutem Rath folge!
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