Die doppelte Blume
ES wurden Gottholden in einem Garten als etwas Sonderliches gezeigt blaue und gelbe Veilchen mit doppelten Blumen, dabei er aber bald wahrnahm, daß so viel am Ansehen mehr, sie am Geruch weniger hatten, als die einfachen, und sagte: Wie mags kommen, daß gemeiniglich die prächtigsten und ansehnlichsten Gewächse von den niederträchtigen und schlechten an Kraft überwunden werden? Die Rosen, so man die Centifolien oder hundertblätterige von der Menge ihrer Blätter nennt, haben zwar ein schönes Ansehen, die andern aber, so zwar nicht viel Blätter haben, thun es ihnen an Geruch weit zuvor, und viele wollen auch das Wasser, so die wilden Rosen geben, dem, das von den Centifolien kommt, vorziehen. Die Tulpe und die Kaiserkrone sind prächtige und ansehnliche Blumen, allein, wer weiß nicht, daß sie von den Veilchen, römischen Kamillen und andern kriechenden Blümlein an Geruch überwunden werden, deren Kraft auch in den Apotheken bekannt und beliebt, jener aber noch bis hieher unbekannt ist. So gehts auch unter den Bäumen zu; die Linden, Fichten und Tannen wachsen zwar hoch und breiten ihre Aeste weit aus, ihre Frucht aber ist wenig oder nichts nütze, da hingegen ein niedriger Apfelbaum und schwacher Weinstock die Früchte bringen, die den Menschen erquicken und erfreuen. Gemeiniglich gehts nicht anders unter den Menschen zu; wo viel Scheins ist, da ist wenig Kraft; wo viel Ansehens vor der Welt, da ist wenig vor Gott. Ja, (welches ich aber nicht sagen dürfte, wenn es nicht der gesagt hätte, dem niemand widersprechen mag,) was hoch ist unter den Menschen, das ist ein Greuel vor Gott. Luc. 16, 15. Die hochgelehrten, hochweisen, hochbegabten, hochbegüterten und hochgeehrten Menschen sind mehrmals wie diese doppelten Blumen, denen es an Geruch der Gottseligkeit und Kraft der Liebe fehlt. Darum auch nicht viel Weise nach dem Fleisch, nicht viel Gewaltige, nicht viel Edle berufen sind, sondern was thöricht, was schwach, was verachtet ist vor der Welt, das hat Gott erwählt. 1. Cor. 1, 26. 27. Was zeihen wir uns denn, daß wir immer wollen hoch, ansehnlich und reich sein, wenn Gott beliebt, seine Kraft in den Schwachen, Niedrigen und Armen zu bezeugen? Besser niedrig und fruchtbar, als hoch und unfruchtbar. Mein Gott! viel Blätter äußerlichen Ansehens begehr ich nicht, ich will gern niedrig, schlecht und recht bleiben, wenn du mir nur Gnade giebst, dir und meinem Nächsten zu dienen! Das äußerliche Ansehen verwelkt wie eine Blume, die innerliche Kraft aber dauert auch nach dem Tode.
© Alle Rechte vorbehalten