Die bittere Enttäuschung
C. H. Spurgeon:
Eine arme Frau war die liebevolle Mutter eines einzigen Sohnes, der ihrem Herzen sehr teuer war. Er wurde krank, todkrank; aber die Mutter konnte den Gedanken nicht ertragen, dass sie ihn verlieren sollte. Sie kratze das nötige Honorar für die Konsultierung eines Arzte zusammen und, o welche Freude für ihr armes, besorgtes Herz, als sie vom Arzte hörte: "Es hat nichts zu bedeuten. Ihr Sohn wird bald wieder besser werden. Pflegen Sie ihn gut und Sie werden ihn bald wieder auf dem Posten sehen." Die Mutter wurde vollkommen ruhig, weil sie dem Doktor glaubte. Schon am nächsten Tage starb ihr Sohn und die Zeit der falschen Sicherheit wurde ihn ihrem Leidenskelch zu Wermut und Galle. Es war ein wahrer Jammer, dass eine grundlose Hoffnung in ihr geweckt worden war, denn sie war untröstlich und rief aus: "Wenn ich nur gewusst hätte, dass so bald sterben würde! Ich hätte dann den Verlust nicht so schmerzlich empfunden wie jetzt! Ich hoffte so froh und bin so entsetzlich getäuscht worden. Wie konnte der Doktor nur sagen, dass er am Leben bleiben werde!" Entweder irrte sich der Arzt selber, oder er wünschte, durch eine falsche Hoffnung den Schmerz der Mutter zu lindern. Wenn letzteres der Fall war, so war seine Unwahrhaftigkeit grausam. Ich mag solchem Vorbild nicht folgen. Es ist ein Jammer, eine grundlose Hoffnung zu erzeugen, welcher eine um so bittere Enttäuschung folgen muss.
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