Die Bilder

Gotthold kam mit etlichen Gefährten auf einer Reise in eine Kirche, die mit vielen Bildern ausgeschmückt war; indem sie dieselben besichtigten, fragte er, welches das schönste und beste Bild in einer Kirche wäre. Einer von der Gesellschaft antwortete: Ich weiß wohl, daß ihr mit dieser Frage weiter hinaus sehet, will also nicht sagen, daß der Materie nach die goldenen, silbernen und ehernen besser seien, als die hölzernen und steinernen, auch nicht, daß die schönsten seien die künstlichsten, welche des Meisters Hand am meisten ausgearbeitet hat, sondern ich halte dafür, man müsse für das schönste Bild passiren lassen das Bild des gekreuzigten Herrn Jesu, welches von Alters her am meisten in der Kirche aufgestellt und zur Andacht am bequemsten gehalten worden ist. Ich meinestheils, wenn ich ein solches Bild ansehe und die Dornenkrone auf seinem Haupt betrachte, wundere mich nicht, daß Gott mich nicht auf Rosenblättern in den Himmel führt, weil sein liebster Sohn Dornen auf dem Haupte getragen hat. Wenn ich sein geneigtes Haupt an dem Bilde betrachte, so stelle ich mir vor, wie mein Erlöser seine Ohren zu mir neiget, mein Gebet zu hören und seinen Mund, mich in Gnaden zu küssen. An den ausgestreckten Armen erinnere ich mich, wie begierig mein Herr Jesus ist, alle Menschen in seine Arme einzuschließen, und sage mit jenem alten Kirchenlehrer: In den Armen meines Erlösers will ich leben und sterben. Bei seinen offnen Wunden erinnere ich mich, daß meine Seele vor Sünde, Tod, Teufel und Hölle keine gewissere Zuflucht hat, als die theuren Wunden Jesu, und spreche:

Dein Blut wäscht mich, Herr Jesu Christ! 
Dein offne Seit mein Steinritz ist, 
Drin will ich allzeit sicher sein, 
Wie vor dem Wettr das Täubelein.

Bei den Nageln, die ich in seinen Wunden stecken sehe, erinnere ich mich, daß mir, der ich Christo angehöre, gebühren wolle, mein Fleisch sammt den Lüften und Begierden zu kreuzigen, Galat. 5, 24., und bitte meinen Erlöser, daß er selbst seine Nägel durch mein Fleisch schlagen und mich im guten mit heiligen Vorsatz bestärken wolle. Gotthold sagte hierauf: Diese eure Gedanken können mir nicht anders, als wohl gefallen, ich halte aber dafür, daß ich ein Bild nennen will, welches dem Herrn Jesu auch selbst am besten gefällt, und also meiner Meinung nach für das schönste Bild in einer Kirche zu halten ist; ich meine einen rechtschaffnen, gläubigen und gottseligen Christen, der seinen Erlöser in der Taufe angezogen hat und im heiligen, göttlichen Leben denselben vorzubilden und darzustellen stets bemüht ist. Ein solches Bild ist mehr werth, als alle köstlichen und künstlichen Bilder der Welt, wiewohl die Welt sie am wenigsten achtet, als die keinen Verstand hat von himmlischen Kunststücken zu urtheilen. Hiernach lasset uns streben, daß wir dem Herrn Jesu je mehr und mehr ähnlich werden, und daß er in uns eine Gestalt gewinne. Galat. 4, 19. Mein Gott! ich bin ein unförmliches Bild; bearbeite mich und gestalte mich nach deinem Gefallen. Wenn ich nur so schön werde, daß das Leben Jesu in meinem Leben zu erkennen ist, so begehr ich nicht schöner zu sein.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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