Die Biene

Gotthold fand eine Biene, daß sie um ein Gefäß mit Honig angefüllt schwebte, bis sie endlich, meinend sich darauf zu setzen und nach aller Lust seiner zu genießen, hinein fiel und allenthalben mit Honig besalbt umkommen und verderben mußte. So gehts, gedachte er, mit der zeitlichen Glückseligkeit und mit dem Ueberfluß der Güter, Ehren und Wollust, welche die Welt, wie die Immen den Honig, begierigst sucht. Eine Biene ist glückselig, so lange sie ihren Honig von den Blumen mit mühsamem Fleiß zusammen bringt und gemächlich einen Vorrath sammelt; kommt sie aber zu solcher Menge, wie diese, so weiß sie sich nicht darein zu schicken und geräth darüber ins Verderben. Also ist mancher Mensch gottselig, demüthig und fromm, so lange er im Schweiß seines Angesichts durch tägliche Arbeit und Mühe seine Nahrung sucht, so ihm aber durch ein sonderliches Glück großer Reichthum auf einmal zufällt, so macht er Stufen daraus, auf welchen er zum Verderben hinab steigt oder fällt. An diesem Honigvöglein habe ich eine Erklärung dessen, was der h. Apostel sagt, 1. Tim. 6, 9.: Die da reich werden wollen, die fallen in Versuchung und Stricke und viel thörichter, schädlicher Lüste, welche versenken die Menschen ins Verderben und Verdammniß. Jener Herzog von Venedig führte zum Sinnbilde einen Baum mit sehr vielen Früchten und etlichen zerbrochenen Zweigen mit der Beischrift: Die Fülle ist mein Verderben, welches ohne Zweifel hat andeuten sollen, daß er durch seine Gaben und vielfältige Mühe und Arbeit sich selbst verzehre und verderbe, oder, daß er um seiner Gaben und Tugenden willen beneidet und angefeindet werde. Man könnte ein solches Bienlein beim Honigtopf malen und oben gesetzte Beischrift dazu fügen: Die Fülle ist mein Verderben. Die zeitliche Glückseligkeit und der Ueberfluß ist wie ein weites lang nachschleppendes Kleid, darin der Mensch nicht wohl fort kann, und gleich wie die Sonne mit ihrem heißen und hellen Schein ein Feuer auslöscht, so der liebliche Schein des weltlichen Wohlwesens dämpft die Hitze des gottseligen Eifers. Anstatt eines, welchen das Unglück zur Verzweiflung gebracht hat, kann man 1000 finden, welche ihr großes Glück gefällt hat. Die Welt ist ein Meer, darauf die meisten Schiffbruch leiden bei stillem, lieblichem Wetter, da hingegen der Sturm und die wüthenden Wellen der Trübsal manchen in den Hafen der ewigen Glückseligkeit jagen. Hierum ist oft sehr unbedachtsam geredet, wenn wir zu einem fleischlichen Menschen sagen: Ich bin eures Wohlstandes, guten Gesundheit und gedeihlichen Wohlergehens herzlich erfreut, da wir doch, wenn wir ihn im Geist betrachten, Ursache haben, uns über ihn zu betrüben. In den Kirchenhistorien wird gemeldet von dem Julian, welchen man hernach den Abtrünnigen benamt hat, daß, als er in seiner Jugend in eine Stadt durch eine Pforte eingezogen, ein Lorbeerkranz ungefähr herunter gefallen sei und sein Haupt so eben getroffen, daß er gar schicklich damit gekrönt worden, welches damals männiglich für eine Vorbedeutung des Kaisertums gehalten, welches sich auch hernach also befunden. So gehts, wenn ein Kreuz vom Himmel siele, so müßte es einen Gottseligen und Frommen treffen; fällt aber eine Krone herab, so gehört sie für einen leichtsinnigen und abtrünnigen Menschen. Nun, dies sind Gottes wunderliche, doch weise Wege. Die Wege des Herrn sind eitel Güte und Wahrheit denen, die seinen Bund und Zeugniß halten, spricht der königliche Prophet, Ps. 25, 10., andeutend, Gott könne mit den Seinigen nicht anders, als gute Wege gehen, und wenn er sie schon durch Dornhecken, durch Kletten- und Diestelbüsche, durch Feuer und Wasser, durch Pfützen und Sümpfe, durch dürre und heiße Sandwüsten führt, so lehrts doch der Ausgang, daß er sie wohl führt, und daß alle seine Wege auf eitel Güte und Wahrheit hinaus laufen. Was soll ich mir denn wünschen, mein Gott? Großes Glück möchte mein großes Unglück sein, großer Ueberfluß möchte mir zum ewigen Mangel gedeihen. Laß mich, wie eine Biene, mit emsigem Fleiß in deiner Furcht mein Bißlein Brods suchen und finden, im Uebrigen sei du mein Reichthum, so bin ich außer Gefahr!

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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