Die Betglocke
Als Gotthold in einer Gesellschaft war, und die Betglocke geschlagen wurde, sagte er: Die lieben Alten haben es doch recht gut mit dieser Anordnung gemeint, denn, weil die Menschen nichts eher und leichter vergessen, als was sie nimmer aus der Acht lassen sollten, das Göttliche nämlich und das Himmlische, so hat man mit solchem Glockenschlag erinnern wollen, daß man mitten unter dem Tumult weltlicher Geschäfte dennoch des lieben Gebets nicht vergessen und Gott im Himmel um Segen, Hülfe und Schutz einträchtiglich anrufen sollte. Als nun gefragt wurde, was man denn vornehmlich zu solcher Zeit in seine Seufzer fassen müßte, antwortete er: Das wird allemal die Zeit und eure eigne oder allgemeine Noth euch wol lehren. Ich hielte es nicht undienlich, daß einer entweder den dreieinigeu Gott mit einem kurzen Seufzer lobte für alle seine Wohlthat etwa auf diese Weise: Gelobet sei Gott, der Vater, der mich erschaffen und bisher mein Leben lang versorgt, ernährt, beschützt und erhalten hat! Gelobt sei Gott, der Sohn, mein Heiland Christus Jesus, der mich von allen Sünden und von der Gewalt des Teufels mit seinem h. theuern Blut erlöset hat! Gelobet sei Gott, der H. Geist, der mich durchs Wort und die h. Sakramente wiedergeboren und mich mein Leben lang oft getröstet, gelehrt, gewarnt und unterrichtet hat! Oder daß einer sein und aller seiner Mitchristen Elend, Noth und Anliegen einschlösse in den bekannten Worten der Litanei und sagte: Herr Gott, Vater im Himmel, erbarme dich über uns! Herr Gott, Sohn, der Welt Heiland, erbarme dich über uns! Herr Gott! H. Geist, erbarme dich über uns! Sei uns gnädig! Verschon unser, lieber Herr Gott! Sei uns gnädig! Hilf uns, lieber Herr Gott! Ich habe eine fromme Frau gekannt, welche, wenn sie die Betglocke hörte, seufzte und sagte: Ach Gott, hilf mir erwerben ein ehrlich Leben und selig Sterben! Ein anderer seufzte: Herr Jesu, dir leb ich! Herr Jesu, dir sterb ich! Herr Jesu, dein bin ich todt und lebendig! Mache mich fromm und ewig selig! Amen. Doch läßt sich hierin der Andacht nicht wohl etwas vorschreiben, wie sie es denn auch wenig bedarf. Denn eh wirds dem Feuer an Hitze, als einem christgläubigen Herzen an Materie zu beten fehlen. Ich meinestheils seufze darum gerne zu Gott, wenn die Betglocke schlägt, weil ich nicht zweifle, daß alsdann manches Christenherz dergleichen thut. Wenn dann schon mein Seufzerlein schwach ist, so nehmen es die andern stärkern mit in die Höhe, als wie wir sehen, daß die Glut von einer Feuerpfanne einen Strohhalm oder ein Stücklein Papiers in die Höhe führet. Auch bin ich versichert, daß aus vielen geringen und schwachen Seufzern ein starkes Gebet wird, als wie aus vielen geringen und schwachen Fäden ein starkes Band, damit wir den Allmächtigen gleichsam binden und zwingen können, daß er nach seinem Zorn nicht thun kann. Doch schlägt mir oft auch die Betglocke, daß es kein Mensch, als ich, hört.
© Alle Rechte vorbehalten