Die Bebespen
Unter den Espen ist eine Art, welche harte Blätter mit dünnen langen Stielen hat, welche auch von dem geringsten Lüftlein, wenn andere Bäume ganz still sind, bewegt ein Geräusch machen. Als nun Gotthold einmal bei fast stillem Wetter solches wahrnahm, gedachte er bei sich selbst: dieser Baum ist ein Bild eines Menschen, der ein verletztes und unruhiges Gewissen hat, welches durch eine geringe Veranlassung erregt ein solch Wesen macht, daß er nicht weiß, wo aus oder ein. Der Gottlose bebet sein Leben lang, sagt die Schrift, Hiob 15, 20., oder, wie es andere geben: Der Gottlose empfindet stets solche Angst, als ein Weib in Kindesnöthen; was er hört, das schreckt ihn, und wenns gleich Friede ist, fürchtet er doch, der Verderber komme, und glaubt nicht, daß er möge dem Unglück entrinnen. Von Kain wird gesagt, 1. Mos. 4, 16., er habe im Lande Rod gewohnt, das ist, wie es die Juden auslegen, im Lande der Bewegung, weil ihrem Bericht nach die Erde allenthalben, wenn Kain fortgegangen, sich unter ihm beweget und also den Brudermörder nicht tragen wollte. Dem sei nun, wie ihm wolle, so ists doch gewiß, daß ein unruhiges Gewissen nirgends Ruhe findet, und wird an ihm erfüllt, was Gott der Herr den Gottlosen dräut: 5. Mos. 28, 65. Du wirst kein bleibend Wesen und deine Fußsohlen werden keine Ruhe haben, denn der Herr wird dir ein bebendes Herz geben und verschmachtete Augen und verdorrte Seele. Nun ists zwar eine große Beschwerde und Elend, wenn der Mensch durch Krankheit, Alter oder andere Zufälle ein bebendes Haupt, zitternde Hände und schlotternde Kniee hat; allein, wenn das Herz im Leibe wie ein Espenlaub wegen bösen Gewissens bebt, das ist noch viel größer. Hilf, barmherziger Gott, daß ich nichts wider mein Gewissen thue! Die Sünde geht lieblich ein, aber sie bringt groß Nachweh im Herzen. Alle Welt mit ihren Gütern, Ehren, Lust und Trost vermag nicht ein unruhiges Gewissen zu befriedigen und zu stillen. Nur aus den Wunden Jesu muß die Ruhe für die Seele gesucht werden.
O Jesu voller Gnad!
Auf dein Gebot und Rath
Kommt mein betrübt Gemüthe
Zu deiner großen Güte;
Laß du auf mein Gewissen
Ein Gnadentröpflein fließen!
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