Die Baumschrift

Gotthold ward von einem Freunde eine junge Linde gezeigt, in deren Rinde die beiden Wörter: Jesus alles, geschnitten und folgends zierlich ausgewachsen und zu sehen waren. Ohne Zweifel, sprach ist die Hand von einem Jesum liebenden Herzen getrieben worden, denn, weß das Herz voll ist, das redet der Mund, das schreibt die Hand. Es haben in diesem Fall oft die heiligen Seelen ihre herzliche Liebe zu ihrem Erlöser mannigfaltig und verwunderlich erwiesen. Die ersten und eifrigsten Christen haben nicht allein zum stetigen Andenken des Herrn Jesu Ringe getragen, in deren Breite entweder das Kreuz, oder der Name Christi mit zween griechischen über einander gesetzten Buchstaben geätzt gewesen, sondern auch etliche seinen h. süßen Namen mit glühenden Eisen auf ihren Arm oder Brust einbrennen lassen, wie ein alter Lehrer, Procopius genannt, als er schreibt über die Worte Jes. 44, 5.: Dieser wird sagen: Ich bin des Herrn, und dieser wird sich mit seiner Hand dem Herrn zuschreiben, berichtet. Welchem etwa vor dritthalb hundert Jahren ein andächtiger Mönch, Heinrich Suso benamt, gefolgt ist, der diesen werthen Namen mit vollen Buchstaben tief in die Haut auf seine Brust geschnitten, daß sie darinnen ausgewachsen und eigentlich zu lesen gewesen. Von dem h. Julian berichtet der syrische Lehrer Ephraem, der sein Leben beschrieben, daß, wenn er in den Büchern den Namen Jesus gefunden, er denselben mit so viel Thränen benetzt, daß er ihn ganz ausgewaschen und damit die Schrift verderbt hat. Als nun jetzt gemeldeter Ephraem über die Bücher kam und fragte, wer sie verderbt hätte, antwortete er: Mein Vater, ich will euch nichts verhalten; die bußfertige Sünderin netzte die Füße des Herrn Jesu mit ihren Thränen und trocknete sie mit ihren Haaren, ich habe gleichfalls seinen Namen mit meinen Thränen netzen wollen, damit ich Vergebung meiner Sünden von ihm erlangen möge, wie ihr widerfahren. Ich finde, daß ein gottseliges freiherrliches Fräulein in Oesterreich, Maria Emerentiana von Gera, in ihrem täglichen Gebetbüchlein, wo sie den Namen Jesus gefunden, den ihren gar nahe zu demselben geschrieben, ohne Zweifel ihre Liebe zu ihrem hochverdienten Erlöser und das Verlangen ihrer Seele, bei ihm zu sein, anzudeuten. Die Weltliebe ist eine Thorheit vor den Augen der Kinder Gottes, und die göttliche Liebe ist Narrheit und Phantasei vor den Augen der Kinder dieser Welt. Als David mit aller Macht vor dem Herrn in einem leinenen Leibrock tanzte, da spottete sein die Michal, die sonder Zweifel von der geistlichen und göttlichen Freude nichts wußte. 2. Sam. 6, 14. 16. So gehts den Liebhabern Gottes noch jetzt in der Welt. Zwar will ich nicht eben rathen, daß wir es auch so machen, wie obengesetzte Freunde des Herrn Jesu, doch will ich auch der brünstigen Liebe kein Maß, noch Ziel stecken. Was im Glauben und aus reiner Liebe geschieht, wer kann das verachten? Gefällt uns die Art der Liebe nicht, so laßt uns doch in der Liebe selbst ihnen nacheifern. Ach, wenn ich wüßte, daß ich mir selbst und vielen andern diesen theuern süßen Namen damit könnte ins Herz schreiben, ich wollte ihn in alle Baumrinden ritzen, an alle Wände schreiben, in Gold, Silber und Erz graben, in die Steinfelsen einhauen, ja mit meinem Blut aus Dankbarkeit für sein vergoßnes Blut in alle Bücher, die mir vorkämen, verzeichnen; doch will ich mit obgemeldetem Suso sagen: „O Herr Jesu! meines Herzens einziger Trost, höchste Freude und Lust! ich bitte dich, schreibe und drücke du dich selber in mein Herz, daß ich deiner nimmer vergesse, von dir hier Trost in Nöthen und dort Freude und Seligkeit erlange ewiglich!“ Ich will mit dem Hugo von S. Victor wünschen, daß meine letzte Speise in dieser Welt sei der h. Leib und Blut des Herrn im hochh. Abendmahle, mein letzter Gedanke von seinem bittern Leiden und Sterben und mein letztes Wort sein h. süßer Name Jesus.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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