Die andersgläubige Dienstmagd

C. H. Spurgeon:
Ich erinnere mich, von William Jay eine Geschichte von einer freikirchlichen Deinstmagt gehört zu haben. Diese Magd kam in eine Familie, die die Gottesdienste der englischen Kirche besuchte, deren Glieder aber keine Christen, sondern weltlich gesinnte Leute waren. Die Familie unterstützte die Kirche eifrig, kümmerte sich jedoch nicht um das geistliche Leben, und solche Leute sind oft am bigottesten. So war es ihnen höchst unangenehm, als sie fanden, dass ihre Magd nicht in ihre Kirche ging, sondern ein kleines Versammlungshaus besuchte und dort ihre geistliche Nahrung fand. Sie machten ihr Vorstellungen und suchten sie zu veranlassen, ihren eigenen Weg aufzugeben und sich ihnen anzuschließen; widrigenfalls sie sie entlassen müssten, da sie in ihrem Hause niemand dulden könnte, der einer Sekte angehöre. Die Magd entgegnete sehr freundlich, aber entschieden, dass sie ihrem Bekenntnisse treu bleiben werde. So wurde ihr denn gekündigt; als gute Kirchenleute konnten sie keinen Dissidenten in ihrem Hause behalten. Die Magd nahm die in unfreundlicher Weise ausgesprochene Kündigung geduldig hin. Kurz vor ihrer Entlassung fand eine Unterredung folgender Art bei ihrer Herrschaft statt. Ihr Herr sagte: "Es ist eigentlich doch schade, dass Johanna uns verlassen soll. Wie haben noch nie ein so gutes Mädchen gehabt. Sie ist fleißig, bescheiden, wahrheitsliebend und sehr aufmerksam!" Die Frau antwortete: "Auch mir will es nicht recht scheinen, dass wir sie gehen lassen bloß deswegen, weil sie ihre Kapelle besucht. Soviel ich weiß, trittst du doch stets für Religionsfreiheit ein; aber es sieht gar nicht nach Religionsfreiheit aus, wenn wir unser Dienstmädchen entlassen, weil dasselbe Gott nach seiner Überzeugung und nach seinem Gewissen anbetet. Ich habe gefunden, dass sie in religiösen Dingen viel vorsichtiger ist als wir es sind." So sprachen beide miteinander und sagten sich, dass ihre Magd doch nie kurz oder herausfordernd gewesen sei und dass sie auch nie hässliche Bemerkungen über das Kirchengehen ihrer Herrschaft gemacht habe. "Wir müssen es gestehen, dass ihr ihre Religion größeren Trost gewährt, als die unsrige uns. Wir täten besser, sie bei uns zu behalten, und sie gehen zu lassen, wohin sie will." "Ja," antwortete der Mann, "und ich denke, wir täten gar nicht übel, wenn wir auch einmal gingen, um den Prediger zu hören, den sie hört. Offenbar hat sie etwas gefunden, das wir nicht haben. Anstatt sie von uns ziehen zu lassen, wollen wir sie behalten und mit ihr gehen." Und so taten sie, und sowohl ihr Herr, wie ihre Dame waren nach nicht langer Zeit Mitglieder derselben Gemeinschaft.

Quelle: Das Buch der Bilder und Gleichnisse (2000 der besten Illustrationen), Charles Haddon Spurgeon, 1904, Beispiel 1599
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