Der wunderliche Kauf

In einer benamten Stadt kamen zween Kaufleute, deren einer in der Rechenkunst wohl geübt und sonst sehr klug, der andere aber in gedachter Kunst unerfahren und sonst auch einfältig war, darüber in einen Streit, daß jener diesem ein Pferd hatte verkauft für Hirsekörner, so daß er ihm für den ersten Nagel, damit das Hufeisen am Fuß befestigt, sollte ein Korn, für den andern zwei, für den dritten vier, für den vierten acht, für den fünften sechzehn Körner geben, und so weiter immer doppelt, bis man die Zahl der 32 Nägel, damit die 4 Eisen gemeiniglich befestigt, erreicht hätte, da zwar der Käufer gemeint, wohlfeil zu kaufen, hernach aber durch die Rechenkunst überführt worden, daß die Summe auf eine unglaubliche Menge hinaus gelaufen, so daß er bewogen worden, den Kauf zu widerrufen und sich durch guter Leute Vermittlung los zu wirken. Gotthold hörte dies erzählen und sagte: Diese Begebenheit giebt eine artige Vorstellung der List des Satans, der unter dem Vorwand eines geringen Preises die Menschenkinder um ein Großes, nämlich um ihre edle Seele, zu bringen und zu betrügen weiß. Er beschwatzt und verleitet sie erstlich zu geringen Sünden, wie er sie nennt, und bemüht sich, sie darin zu erhalten, daß eine Gewohnheit daraus wird; da gehts denn immer gedoppelt und gehäuft, da wächst immer eine Sünde aus der andern, da wird eine Übertretung mit der andern verknüpft, da addirt und multiplizirt er so lange, daß endlich der Käufer die schnöde Lust nicht anders, als mit seiner Seele bezahlen kann, wo ihm nicht Gott aus Gnaden durch seinen H. Geist die Augen aufthut, daß er des Betrugs gewahr wird, den Kauf durch wahre Buße widerruft und den barmherzigen Gott und Christum, seinen Erlöser, um Hülfe und Rettung anfleht. Darum ist es am besten, mit dem Satan und seinen Händeln unverworren. Man achte keine Sünde klein und gering; denn wie kann das klein sein, was wider den allerheiligsten Willen des großen Gottes geschieht? David sagt nicht ohne Ursach: Ps. 51, 6. An dir! An dir allein hab ich gesündigt, als wollte er sprechen: ach, es ist ja meine Sünde an ihr selbst überaus groß und schrecklich, aber das ist das Größte und Schrecklichste, daß ich wider dich, dich, meinen wohlthätigen, gnädigen, liebreichen Gott so schändlich gehandelt, deinen heiligen Namen den Gottlosen zu Spott gestellt, deiner Güte gemißbraucht und alle an mir Unwürdigem erwiesene Wohlthaten mit schrecklicher Undankbarkeit vergolten habe. Davon hat ein gottseliger Lehrer (Joh. Arnd) sehr wohl geschrieben: „Weil Gott eitel Liebe, Gnade, Gerechtigkeit, Gütigkeit und Barmherzigkeit, ja alle Tugend ist, so wird er mit einer jeden Sünde beleidigt; mit Ungerechtigkeit beleidigt man seine Gerechtigkeit; er wird beleidigt mit Lügen, denn er ist die Wahrheit selbst, mit Haß, denn er ist die Liebe selbst; Gott ist das höchste Gut aller Tugend und ist die höchste Liebe, nun ists ja eine große, teuflische Bosheit, denselben beleidigen, der die höchste Liebe, ja die Liebe selbst ist.“ Zudem, wie kann das klein sein, welches groß und wichtig genug ist, uns aus der Gnade in den Zorn zu setzen und unsere Seele in des Teufels Gewalt zu liefern? Die Spinne zieht einen subtilen Faden aus ihrem eignen Leibe, doch kann sich eine Fliege und Mücke damit so vielfältig umgeben, daß sie gewonnen geben und ihr herhalten muß. Was ist kleiner, als der erste Seiden- und Hanffaden? Dennoch werden starke Bänder, Stricke, ja Schiffs- und Ankerseile daraus gewirket. Mein Gott! ich weiß von keiner kleinen Sünde. Weil du mir lieb bist, so kann ich nicht gering achten, was dich beleidigt und deinen H. Geist betrübt. Niemand ist so thöricht, daß er mit Wissen und Willen Gift nimmt, wenn es schon ein weniges ist, weil er weiß, daß auch ein so weniges ihm das Leben kosten kann. Eines aber will ich bitten: Laß mich die geringste Sünde groß achten, weil ich lebe, laß mich aber die größte Sünde klein achten, wenn ich sterbe!

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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