Der Wolf

Als Gotthold zur Winterszeit über Feld reiste, ward er eines Wolfes gewahr, der hinter einer Heerde Schafe herschlich, und als seine Gefährten denselben mit ihrem Geschrei verjagt hatten, fing er an und sagte: Dies ist ein recht schädliches und giftiges Thier, welches, wenn es etwa durch eine Wand gebrochen und in den Schafstall gekommen, nicht aufhört zu würgen, so lange etwas Lebendiges darinnen ist. Man hat auch Exempel, daß sie nicht allein wider das Vieh, sondern auch zuweilen aus Hunger oder Raserei wider die Menschen gewüthet haben. Osiander erzählt, daß ums Jahr Christi 1166 die Wölfe die Kinder den Müttern von den Brüsten geraubt und gefressen, wie denn auch im niederländischen Kriege ums Jahr 1587, als viele Flecken und kleine Städte in Flandern und Brabant wüste geworden, die Wölfe sich also vermehrt, daß sie um Gent und ans zwei Meilen allernächst herum in einem Jahr über IW Menschen zerrissen und gefressen. Ueber das hat der Wolf einen gar giftigen Athem, darum denn seine Bisse ungern heilen, und erzählt Camerarius, daß, als auf einer Jagd ein Wolf im Garn gefangen worden und ein Mann sich hinan gemacht, ihn zu tödten, sich derselbe wider ihn aufgesteift und ihn im Eifer und Bemühung stark angehaucht, davon dem Manne das Gesicht und die Hände, welche bloß gewesen, dick geschwollen und aufgelaufen, welches man hernach mit vielen Arzneimitteln schwerlich vertreiben konnte. Doch hat der Höchste dieses schädlichen und giftigen Thieres Grausamkeit selbst gleichsam gehemmt und gebrochen, indem ers nicht allein hinten gelähmt, daß es im Lauf nicht zu schnell wäre, sondern auch ihm sein Verderben in seinem eigenen Leibe entstehen läßt; denn ich habe nicht allein gelesen, sondern auch in der Nachfrage bei vornehmen und erfahrnen Leuten wahr befunden, daß in des Wolfs Nieren, wenn er ein wenig zu Jahren kommt, giftige Würmer und kleine Schlangen wachsen, die ihn endlich von innen ums Leben bringen. Nehmet aber dabei wahr eine Abbildung eines boshaftigen und grausamen Menschen, (deren man leider viele hat, auch unter denen, die sich lassen Christen nennen, die ihrer armen Mitchristen Wölfe, ja Teufel sind), ein solcher wüthet und tobt eine Zeit lang in der Welt, so lange nämlich dem Höchsten aus gerechtem Gerichte seiner Bosheit nachzusehen gefällig ist, hernach aber wird er entweder von seiner Missethat gefangen und vom Strick seiner Sünden gehalten, Sprüchw. 5, 22., oder der Wurm des unruhigen Gewissens nagt ihm das Herz ab, oder der Teufel und Tod werden seine Jäger und machen ein höllisches Wildbret aus ihm. Ach, mein Gott! laß mich ja sein ein Werkzeug deiner Gnade, andern zu dienen und niemand zu schaden! Was hilfts denen, so mächtig sind, Schaden zu thun, Ps. 52, 3. 6., wenn sie viele schrecken und betrüben, weil endlich der größte Schade ihrer selbst ist?

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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