Der Weinstock
Es klagte einer, daß er sich im Glauben schwach und daher oft betrübt befinde; dem zeigte Gotthold eine Weinrebe, die um einen Pfahl sich gewunden und befestigt hatte, und voll schöner Trauben hing. Mein! (wahrlich), sprach er, was schadet es diesem schwachen Holz, daß es schwach ist, zuvoraus da es seinem Schöpfer gefallen hat, es so und nicht anders zu machen? So wird es auch eurem Glauben nicht schaden, daß er schwach ist, wenn er nur ernstlich und ohne Falsch ist. Der Glaube ist Gottes Werk; der giebt, so viel er will und für gut findet; laßt euch an seiner Gnade genügen! Eures Glaubens Pfahl und Stütze sei der Kreuzbaum eures Erlösers und das Wort Gottes; hierum windet euch nach der Kraft, die Gott darreicht! Gott hat seine Lust daran, daß er die Seinigen wider des Teufels Stürmen und gewaltiges Toben in Schwachheit erhalten kann. Ein Herz, das seine Schwachheit sieht und mit demüthigen Seufzern der Gnade des Höchsten stets zu Füßen liegt, ist ihm angenehmer, als ein anderes, das durch starken Glauben zur Sicherheit und Stolz Anlaß nimmt, es sei denn, daß ihr meint, die zu den Füßen des Herrn Jesu liegende und weinende Sünderin sei ihm nicht so angenehm gewesen, als der schuldigste und hochmüthige Pharisäer. Luc. 7, 37. ff.
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