Der Weihrauch auf glühenden Kohlen

Als in einem Zimmer etliche Weihrauchkörner auf glühende Kohlen geworfen wurden, fand Gotthold durch gottseliges Nachdenken darin eine artige Vorstellung der recht christlichen Almosen. Denn, sagte er, wie diese wenigen kleinen Körnlein durch die Glut zerfließen und in einen weitschweifenden wohlriechenden Rauch verwandelt werden, der nach und nach sich in die Höhe schwingt und nicht allein den, der ihn erregt, sondern auch andere, die weit davon sind, ergötzt, die Luft reinigt und die Flüsse und böse Feuchtigkeit verzehrt, also sind etliche wenige Pfennige, im Glauben mit einfältigem, fröhlichem Herzen gegeben, vor Gott groß geachtet, wie das Exempel der armen Wittwe, die zwei Scherflein in den Gotteskasten legte, bezeugt. Luc. 21, 2. Es steigt hievon auf ein guter Geruch ins Gedächtniß vor Gott und kommt hinauf. Apostelg. 10,4. Also wird die Sünde vergessen, viel Böses abgewandt und viel Gutes erhalten, Dan. 4, 24., und ein solcher milder Gutthäter wird von allen Gottseligen, die es erfahren haben, selig gepriesen und sein Gedächtniß bleibt im Segen. Sprüchw. 10, 7. Die Almosen, sagte er weiter, sind wie Dünste, welche bei Tag von der Erde aufsteigen und des Nachts wiederum als ein fruchtbarer Thau dieselbe befeuchten. Die christliche Liebe und des Nächsten augenscheinliche Noth erzwingt von uns eine Gabe, die oft nicht werth ist, daß sie in Gottes Tagebuch kommen soll, und dennoch schüttet der dankbare, fromme Gott mit tausendfachem Segen sie wiederum über uns aus. Wir messen ihm mit Löffeln, er uns mit Scheffeln, und das ist, was Salomo sagt: Einer theilt aus und hat immer mehr; die Seele, die da reichlich segnet, wird fett, und wer trunken macht, wird auch trunken, Sprüchw. 11, 24. 25., als wollte er sagen: wer einem durstigen, dürftigen Herzen ein Trünklein seiner Müdigkeit nach dem andern bringt, dem wird der Herr voll einschenken und seine Seele mit der Süßigkeit seines Geistes und Gnade füllen und trunken machen. Mein Gott! mein Vermögen ist nicht groß, jedennoch bitte ich nicht so sehr, daß du mir geben, als daß ich durch deine Gnade andern mit willigem Herzen geben möge. Ist es schon wenig, was ich gebe, so ist es doch nicht wenig, was ich dafür empfange, nämlich einen Seufzer eines gläubigen Christen, der durch die Wolken zu dir dringt.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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