Der Weihe
Gottholds Freund erzählte ihm, daß er einen Weihen gesehen, der aus der Höhe auf seinen Raub gelauert, und fragte, ob auch der zu guten Gedanken Anlaß geben könnte? Er antwortete: Warum nicht? Er kann anfangs ein Bild eines weltgesinnten Menschen sein, der den Schein der Gottseligkeit zwar beliebt, aber die Kraft verleugnet. 2. Tim. 3, 5. Denn wie dieser Vogel zwar unter dem Himmel in freier Luft sich gern aufhält und schwebt, so daß es scheint, als wollte er dem Himmel gern nahe sein, so sind doch seine scharfen Augen stets auf die Erde gerichtet, ob er etwa einen Raub ersehen und erhaschen könnte. So sind die Heuchler, sie reden gerne von geistlichen und himmlischen Dingen, sie gehen in die Kirche und zum h. Abendmahl, sie lesen, beten, singen; nichts desto weniger bleibt ihr Herz irdisch gesinnt und trachtet mehr nach dem Zeitlichen, als nach dem Ewigen. Auch wisset ihr, daß die Niedersachsen und Holländer diesen Vogel einen Küchendieb nennen, weil er gemeiniglich den jungen Hühnern aufzupassen und sie zu entführen pflegt. Wenn nun unser Erlöser sich mit der Gluckhenne vergleicht, Matth. 23, 37., so sind wir die Küchlein, der Teufel aber ist der höllische Weih und Raubvogel, der immer auf uns lauert und keine Gelegenheit zu unserm Verderben verabsäumt; wollt ihr nun sicher sein, so verlasset Jesum nicht, daß er seine Gnaden- und Schutzflügel über euch breite. Sonst ist zu verwundern, was Bellonius von der großen Menge dieser Vögel erzählt. Denn als er in Thracien gewesen und die Vögel im Frühling aus den warmen Ländern wieder hieherwärts ziehen gesehen, berichtet er, daß sie so viel und dick, als die Ameisen daher gezogen, mit solcher unglaublichen Menge, daß er nicht traut, wenn sie funfzehn Tage an einander so häufig flögen, daß so viele Menschen in der Welt leben, als dieser Vögel sein würden; darum er nicht ausdenken oder begreifen könne, wo solche große Menge Raubvögel Raum und Nahrung finden möchte. Dies dient, den Reichthum der milden Güte Gottes zu bedenken, der auch solche unnütze Tischgänger zu speisen und zu versorgen weiß, ob er schon nicht mit uns Menschen darüber zu Rathe geht. Sollte er denn nicht das vielmehr uns thun? O wir Kleingläubigen! Matth. 6, 30. So ist auch endlich an diesem Vogel das merkwürdig, wie Aldrovandus berichtet, daß er zur heißen Sommerszeit, wenn andere Thiere und Vögel Schatten zu ihrer Kühlung suchen, sich über die Wolken in die mittlere Luft schwingt und daselbst fast bis an den Abend flatternd und schwebend sich aufhält, auf daß er also seine hitzige Natur erfrischen und kühlen möge; denn daß es in solcher Höhe kalt sei, ist an den Gipfeln der höchsten Berge zu sehen, auf welchen der Schnee auch in den heißesten Sommertagen nicht schmilzt, wie denn auch die Leute, so auf dem Gebirge wohnen, sich oftmals im Sommer ohne warme Stube nicht behelfen können. Hierin lasset uns nun diesem Vogel folgen; wenn die Hitze der Trübsal, 1. Pet. 4, 12., überhand nimmt, und innerliches oder äußerliches Anliegen uns abmattet, so, laßt uns die Gedanken gen Himmel richten, und im Geist und Glauben das Herz zu Gott erheben, das wird die beste Erquickung für unsere matte Seele sein. Mein Herr Jesu! wenn du nicht mein Jesus wärest und mich schütztest, versorgtest und labtest, wollt ich lieber ein solcher Vogel, als ein Mensch sein.
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