Der vom Tod erlösete Missethäter
Es ward erzählt, daß ein Uebelthäter wäre zum Tod verurtheilt und hinausgeführt worden, da er dann unsern von der Richtstatt die Grube und den Sarg, welche seinen entseelten Leib bis an den jüngsten Tag verwahren sollten, vor sich gefunden, wie denn auch die, so ihn zu erschießen Befehl gehabt, sich schon fertig gemacht und jetzt losdrücken wollten, als die unverhoffte Zeitung gekommen, daß er von vornehmen Personen erbeten und ihm das Leben geschenkt wäre. Wie nun der Lebendigtodte wieder hereingebracht und von vielen, wie ihm zu Muth gewesen, gefragt worden, hat er nichts zu berichten gewußt, als daß er nicht gewußt, wie ihm wäre. Er hätte nicht gewußt, ob jemand um ihn wäre oder nicht, auch nicht, daß er zum Thor ausgegangen und dergleichen; nur beklagte er, daß man ihn nicht hingerichtet, weil er die meiste Todesangst schon überstanden und an seiner Seligkeit im geringsten nicht gezweifelt hätte. Man hätte ihn auch hernach wenig fröhlich gesehen, sondern stets blaß, bleich und traurig. Ich muß bekennen, sagte Gotthold, daß man diesem Menschen das wenigste von der zuerkannten Strafe erlassen, maßen die Todesfurcht und Angst schwerer, als der Tod selbst, der im Augenblick würde erfolgt sein, zu achten, deren Merkzeichen er auch sein Leben lang wird tragen müssen. Bedenket aber dabei, wie denen zu Muthe werde sein, welche an jenem großen Gerichtstage das Urtheil über ihre Unbußfertigkeit und frevle Bosheit werden anhören und darauf in die ewige Qual und Pein gehen müssen, welche den gerechten und erzürnten Richter über sich, die mit Schwefel und Feuer angefüllte Grube unter sich, die gräßlichen, feindseligen Teufel um sich und eine kläglich heulende Gesellschaft neben sich sehen werden, und keine Hoffnung haben, zu sterben, sondern im Tode ewig zu leben. Fürwahr, es muß ein hartes Herz sein, das bei solchem Andenken nicht erzittert. Wie wir aber unsern Kindern und Gesinde befehlen, wenn Uebelthäter abgethan werden, daß sie mit zusehen, an solchen Personen sich spiegeln und vor solchen Thaten sich hüten sollen, also sollen wir unsere Seele oft in Betrachtung der höllischen Qual führen, daß sie der Sünde feind werde, welche solche Strafe nach sich zieht. Mein Herr und Gott!
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