Der Vertrag

Gotthold war zugegen, als zween Nachbarn sich über eine Sache verglichen; als nun für rathsam angesehen ward, daß der Vergleich schriftlich abgefaßt würde, sagte der, so die Verheißung gethan: Sehet, da ist meine Hand, (dem andern die Rechte darhaltend) ich will leisten, was ich versprochen habe als ein ehrlicher Mann! womit der sofort zufrieden war und sagte: So traue ich euch als einem ehrlichen Mann auf euer Wort und Handschlag! Gotthold sagte: So recht! meine Freunde, das ist noch die alte deutsche Redlichkeit und Aufrichtigkeit. So Mte es allenthalben zugehen, daß unser christredliches Herz sollte die festeste Verschreibung sein; weil aber das jetzt selten zu finden, so muß man Siegel und Briefe nehmen, damit man doch öfters auch nicht zum Besten verwahrt ist. Wisset ihr aber, was ich sonst hiebei für Gedanken habe? Wir Menschen trauen endlich einander, wo wir nur eine Spur und Hoffnung der Treue finden, auf Mund und Hand; warum trauen wir auch nicht fröhlich unserm Gott, welchen niemand jemals falsch befunden? Wir haben Gottes Mund in seinem Wort und Verheißungen, seine Hand in der That und Erfahrung unsers ganzen Lebens, sein Herz in dem gekreuzigten Jesu, ich könnte hinzu thun, seinen Brief, mit dem Blute Jesu Christi geschrieben und mit dem Siegel seines H. Geistes bestätigt, warum trauen wir ihm denn nicht von ganzem Herzen, von ganzer Seele, fröhlich und ohne Furcht? Wir trauen einem Vater, einer Mutter, einem Bruder, weil sie unsere Blutsfreuude sind, wir trauen einem Rechtsgelehrten wegen seiner Weisheit und befehlen ihm unsere Sachen, wir trauen einem Arzte wegen seiner Erfahrung und befehlen ihm unsere Gesundheit, warum trauen wir Gott nicht, der alles ist, alles weiß, alles kann und auch alles will, was uns nütz und selig ist? Ei, sagte einer von jenen, wer wollte doch dem lieben Gott nicht trauen? Ja, sprach Gotthold, so lange wir den Glauben in der Hand oder im Beutel haben; sonst ist es dem irdischgesinnten, sündlichen, kleinmüthigen Herzen eine schwere, ja unmögliche Sache; es kann Gott ohne Gott nicht trauen, es kann sich auf Gottes Gnade ohne seine Gnade nicht verlassen; die Welt meint, der Glaube an Gott sei ein geringes Ding, nicht bedenkend, daß der Apostel spricht: Kämpfe den guten Kampf des Glaubens! 1. Timoth. 6, 12. Der Glaube hat viel Widersprecher und viel Feinde, darum ist er ein Kampf und besteht im Kampf. Der Glaube soll in einem kleinen Herzen den großen Gott und seinen ganzen Himmel fassen, das ist keine leichte Sache. Eine Mutter hebt und trägt ihr Kind, stillt es, herzt, küßt, speiset, tränkt, duldet es, aber wie langsam gehts zu, ehe das Kind lernt die Mutter kennen, umfassen, anlachen, lieben und ehren? Was mich angeht, denke ich oft an unsern großwerthen Lehrer, (Luther), der da spricht: „Ich bin durch viel Uebungen, Gott Lob! dahin kommen, daß ich schier anhebe zu glauben, Gott sei Schöpfer Himmels und der Erden.“ Ich sage auch von Herzen: ich bin durch viele Uebung, Kampf, Streit, Anfechtung, Seufzen, Beten, Gott Lob! dahin kommen, daß ich schier anhebe zu glauben, daß Gott mein gnädiger Vater ist und daß der gekreuzigte Jesus mit seinem Verdienst, Blut und Tod mich auch angehe. Hieran lerne ich täglich und, wie ein zartes Kind an seiner Mutter Brüsten, so liege ich an meines Herrn Jesu Wunden und sauge daraus sein Blut und Geist, daß ich immer stärker werde. Ich glaube, lieber Herr! Hilf meinem Unglauben! Marc. 9, 24.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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