Der Vagant

Bald nach dem Verlauf mit dem Bettler meldet sich ein Vagant an, wie man die Leute nennt, die sich für Studenten ausgeben, welche Beförderung suchen, welche geplündert sind und unter solchem Vorwand ein Handwerk aus der Bettelei machen, ein wildes und unordentliches Leben führen, an keinem Orte stetig und manchem ehrlichen Mann beschwerlich sind. Gotthold redete selbst mit ihm, und, nachdem er aus seiner Antwort genugsam abgemerkt, daß er einer von den rechten wäre, stellte er ihm die Gefahr seiner Seele in solchem Stande beweglich vor und ließ ihn mit einem Almosen von sich. Bald darauf sagte er zu seinen Hausgenossen: Die Weltkinder sind mancherlei Gattung, doch haben sie alle einerlei Absehen, daß sie nämlich nach dem Fleisch wollen frei sein, ihren Willen haben, an göttliche und menschliche Rechte, so viel möglich, nicht verbunden sein und dieses zeitlichen Lebens nach aller Lust ihrer verblendeten Seelen genießen; sie sind alle Vaganten und wallen durch die Welt mit Ungehorsam, Eigensinn, Frechheit, Hoffart, Muthwillen und dergleichen. Wenn ein unwiedergeborner fleischlicher Mensch sollte seines Herzens Grund entdecken dürfen, so würde er wünschen, daß kein Gott wäre, ja er würde bekennen müssen, daß er Gott in seinem Herzen feind sei, als der mit seinen Geboten seinem Eigenwillen und angemaßten fleischlichen Freiheit hinderlich ist; hierum sucht ein solcher Mensch, so viel ihm immer möglich, sich von Gott zu entfernen, will nicht gerne an ihn gedenken, damit nicht durch dessen Furcht seine Lust gehemmt und unterbrochen werde; sie leben auch darum gerne im Sause täglich, damit ja das Gewissen nicht aufwache; sie sind den Gottseligen feind, welche aus christlichem Eifer sie bestrafen; sie lassen sich nicht gerne einreden, sie wollen fein ungeirrt und unmolestirt zur Hölle wandern. Was, sagt ein fleischlicher Mensch, hat man mir einzureden? Ich bin frei, ich habe auf niemand zu achten, ich bin der Ruthe entwachsen; meine Eltern sind todt, oder leben sie, so achte ich ihrer nicht, ich lasse sie sagen, was sie wollen, und sie müssen mich lassen machen, was ich will; mein Weib muß mich unverirt lassen, oder sie kriegt Ohrfeigen; der Obrigkeit geb ich ihren Schoß und thue, was einem Bürger zukommt, so hat die weiter auf mich nichts zu sprechen; die Priester müssen meine Gänge nicht wissen, erfahren sie es und reden mir zu, so spreche ich, es sei nicht wahr, ich sei fälschlich angegeben; machen sie es zu viel, so gebe ich auf sie nichts, wohl wissend, daß man ihnen die Hände ziemlich gefesselt und den Bindeschlüssel angebunden hat, und was geht sie es endlich an? Was hat der Pfaff sich darum zu bekümmern, was ich mit dem Meinigen thue? Ich versaufe, verspiele, verschwelge mein Geld; ist das nicht eine herrliche Sache? eine stattliche Freiheit? ein erwünschtes Leben, ein solch freier Vagant zu sein? Ach elende Freiheit! O verfluchter Eigenwille! Dies ist es, was der h. Apostel sagt: Fleischlich gesinnt sein ist eine Feindschaft wider Gott, Rom. 8, 7., und abermal: Da ihr der Sünde Knechte waret, da waret ihr frei von der Gerechtigkeit! Rom. 6, 20. Ist es nicht eine klägliche Freiheit, Gott nicht gehorsam und des Teufels Sklave sein, die Bande Gottes zerreißen und die Seile seiner Liebe von sich werfen, dafür aber in den Stricken des Satans sich täglich mehr und mehr verwickeln? Dies ist, als wenn ein Schaf sich von der Heerde hätte verlaufen und unter dem Gesträuche weidend sich rühmen wollte, es dürfte sich nun gleichwohl vor des Hirten Stimme, Stab und Hunden nicht fürchten, und bedächte nicht, daß der Wolf im Gebüsche schon lauscht und es bald erhaschen wird. Oder, wenn ein Schiff vom Lande durch einen Windwirbel los gerissen, das keinen Steuermann hat und nach dem Willen der Winde und Wellen hin und her getrieben wird, sich selbst wollte in solcher Freiheit wohlgefallen, nicht Acht habend auf die Klippen und Felsen, daran es bald zerscheitern wird. Diese Leute sind nicht wohl bei Sinnen und den Uebelthätern gleich, welche sich vollsaufen, wenn sie zum Tode geführt werden. Ach, mein Gott! behüte mich vor solcher Freiheit und vor solchen Gedanken! Es ist meine höchste Glückseligkeit, daß ich nicht mein selbst und mir gelassen bin; mein Wille wäre meine Hölle, dein Wille ist mein Himmelreich. Die fleischliche Freiheit ist Sklaverei, dir aber dienen ist Freiheit. So sei nun frei, wer da will, ich bin und bleibe gerne ein Knecht meines Gottes.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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