Der Undank
Einer klagte, daß er manchem viel Gutes gethan, aber von den wenigsten Dank, von den meisten Undank zum Lohne gehabt, darum er auch nunmehr bei sich beschlossen hätte, seine Willigkeit zu hemmen und einzuhalten. Gotthold sagte hierauf: Lieber, habt ihr niemals gesehen, die Pferde zur Tränke reiten? Dieselben rennen hinein in einen lieblichen Strom oder stillen See und trinken, so lang ihnen beliebt; hernach machen sie sich wieder fort oder stampfen so lange mit den Füßen, daß sie das Wasser trübe machen; das ist das Trinkgeld. Was thut hierzu der edle Strom? Er verschwemmet den erregten Schlamm, so bald er kann, und bleibt nach wie vor voll und offen, eben diese und andere Durstige zu tränken. So muß es mit eurer Gutmütigkeit beschaffen sein. Habt ihr in eurem Herzen die Quelle der reinen Liebe, so wird sie stets sich mit mancherlei Strömen ergießen, ungeachtet, ob ein Dankbarer oder Undankbarer ihrer zu genießen hat. Es ist ein unbesonnener Ackersmann, der vor der Erndte die Früchte von seinem Samen haben will. In dieser Welt ist die Säens- und Ausstreuenszeit, nach diesem kommt die Erndte. Darum lasset uns Gutes thun und nicht müde werden, denn zu seiner Zeit werden wir auch erndten ohne Aufhören. Gal. 6, 9. Wollt ihr aber eigentlich wissen, was ich von solcher Dankbegierigkeit halte? Es ist eine heimliche und doch grobe Sünde wider das erste Gebot, weil sie eigentlich aus der Hoffart herrührt, welche will mit ihrem Wohlthun hoch angesehen und erhaben sein. Ein solcher danksüchtiger Mensch ist einem bauernstolzen Diener gleich, welcher darum zürnt, daß ihm für die Almosen, so er auf seines Herrn Geheiß austheilt, nicht so fleißig, als dem Herrn selbst gedankt wird. Drum, so ihr recht christlich und mit reinem Herzen wollt Gutes thun, so wünscht, daß euer Wohlthun verloren sei bis an den jüngsten Tag, damit nicht durch viel Danken euer Herz zur Hoffart bewogen werde, und es auch von euch heiße: Ihr habt euren Lohn dahin! Matth. 6, 2. Mein Gott! gieb, daß meine Gutthätigkeit ein lauteres Strömlein sei, aus reiner Liebe fließend und von Eigenliebe, Eigenehre und Eigennutz nicht getrübt; mir gehört kein Dank, sondern dir, weil ich alles von dem Deinen nehme und meinem Nächsten damit diene. Und was ist das Geringe, dafür mir mein Nächster nicht dankt, gegen das Große, dafür ich dir zu danken so oft vergessen habe!
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