Der süße Traum
Es sagte einer von Gottholds Hausgenossen, er hätte die Nacht einen heiligen und süßen Traum gehabt und könnte der Freude, so er im Schlaf empfunden, nicht vergessen, maßen ihm vorgekommen, daß er mit einer unzählbaren großen Menge, unter vielen köstlichen Fähnlein vertheilt, wäre eingezogen in das himmlische Jerusalem, welches sie in einem unaussprechlichen Glanz von ferne gesehen; sie hätten gesungen: Halleluja! Gott sei Dank, der uns den Sieg gegeben hat! Halleluja! und dies wäre geschehen mit solcher heftigen, doch süßen Bewegung und Erregung seines Geistes, daß es ihn wunderte, wenn er nicht auch mit dem leiblichen Munde dieselbe bezeugt hätte. Gotthold sagte: Dies ist den Gotteskindern nichts Neues oder Seltsames. Ich weiß ein Exempel eines Mannes, dem einmal im Schlaf vorgekommen, als wäre er auf ein geraumes Feld gestellt mitten unter eine große Heerde Schafe, unter denen ein schöner Engel stand, der Hatte eine Büchse mit rother Farbe gefüllt und zeichnete aus derselben die Schafe, doch nicht alle, sondern nach Willkür bald dieses, bald jenes, eines mit einem einfachen, das andere mit einem gedoppelten Kreuz; dieser wünschte nun von Herzen auch gezeichnet zu sein und schwebte zwischen Furcht und Hoffnung, bis der Engel zu ihm kam und mit einem gedoppelten rothen Kreuz ihn zeichnete, dabei er dann solche Freude empfand, daß er mit Hüpfen und Springen überlaut seinem Dünken nach vielfältig ausrief in lateinischer Sprache: Ach, Herr Jesu! ich bin gezeichnet! Ich bin gezeichnet! Er pflegte zu sagen, er hätte keine Freude in der Welt jemals gehabt, die mit dieser, so er im Schlaf empfunden, wäre zu vergleichen gewesen. Ich halte, daß der königliche Prophet hierauf sein Absehen gehabt, wenn er spricht, Ps. 149, 5.: Die Heiligen sollen fröhlich sein und preisen und rühmen (oder jauchzen) auf ihren Lagern, und sein weiser Sohn sagt, Sprüchw. 3, 21. 24.: Laß die Weisheit nicht von deinen Augen weichen, so wirft du, wenn du dich legst, dich nicht fürchten, sondern süß schlafen. Eine gottselige und heilige Seele ist einem kleinen Kinde in diesem Fall gleich, welches an der Mutter Brust liegt und saugt, im Saugen einschläft und dennoch die Brust nicht fahren läßt, sondern auch im Schlaf die süße Milch in sich trinkt. Gottes Kinder gehen mit andächtigem Gebet, mit heiligen Gedanken und Uebungen schlafen, und ihre Seele hängt an Gott, Ps. 63, 9., und ihrem Jesu, an den sie gedenken, wenn sie sich zu Bette legen. So läßt denn ihr Herz ihn auch im Schlafe nicht, sondern ergötzt sich an seiner Liebe, und er spielt oft mit ihnen im Traum und giebt der Seele, die zu ihm wacht, einen süßen Anblick, der sie mehr erfreut, als alle Phantasei der Welt. Ob nun zwar ein christliches Herz hierin muß vorsichtig sein und sich um solcher Begegnung willen nicht für einen lebendigen Heiligen, auch nicht seine Träume für Glaubensartikel halten und sie dem Worte Gottes zur Seite setzen, so ist es doch eine Anzeige einer himmlischgesinnten und auch im Schlaf nach Gott sich sehnenden Seele, und man hat um solche heilige und gesegnete Ruhe mit dem vortrefflichen bekannten Lehrer unserer Kirche (Joh. Arnd) zu beten: „Gieb mir, daß ich immer gottesfürchtiger, heiliger, frommer und gerechter wieder aufstehe, daß mein Schlaf nicht ein Sündenschlaf sei, sondern ein heiliger Schlaf, daß meine Seele und mein Geist in mir zu dir wache, mit dir rede und handle! daß dein Name oder Gedächtniß immer in meinem Herzen bleibe, ich schlafe oder wache!“ Von einem heidnischen berühmten Philosophen wird berichtet, daß, wenn er sich zur Ruhe hat legen wollen, er sich mit Singen und Saitenspiel zum sanften Schlaf und süßen Träumen bereitet habe. Der Christen Musik ist ihr andächtiges Gebet und Abendgesang nebst herzlicher Betrachtung heiliger und göttlicher Dinge, und wo dies in Acht genommen wird, da muß der Schlaf nicht allein geheiligt, sondern auch gesegnet und süß sein. Herr Jesu!
Wenn mein Augen schon sich schließen
Und ermüdet schlafen ein,
Muß mein Herz dennoch geflissen
Und auf dich gerichtet sein.
Meiner Seele mit Begier
Träume stets, o Gott! von dir.
Daß ich fest an dir bekleibe,
Und im Schlaf auch dein verbleibe!
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