Der Stein
Gotthold wurde ein Stein gezeigt, der als wie von zwei Stücken zusammen gewrungen und zu oberst mit zwei scharfen Hörnern versehen war, welchen nach langer schmerzlicher und tödtlicher Krankheit ein guter Mann endlich von sich gebracht. Er erinnerte sich, daß er vordem schon einen größern gesehen in Gestalt und Größe einer Mandel, welcher eine vornehme Matrone lange und fast bis in den Tod gequält, und endlich durch Gottes Gnade und Hülfe in einem Bade von ihr gekommen war. Im weiter n Nachdenken befand er, daß die gelehrten Aerzte aus der Erfahrung bemerkt, daß fast in allen Gliedern des menschlichen Leibes Steine zuweilen gewachsen, und manchem große Schmerzen und Gefahr, manchem den Tod verursacht hätten, wie man sie denn im Gehirn, in den Augen, in der Zunge, in der Luftröhre, in der Lunge, in der Leber, im Magen, in den Gedärmen, in den Adern, in den Brüsten und sogar im Herzen und den Herzadern mit Bestürzung gefunden hat. Und von diesem letztern, sagte Gotthold weiter, rührt wol alles her. Unser Herz ist von Natur steinern und felsenhart, der Höchste kann es oft mit so vielen Warnungen, Drohungen, Verheißungen, Strafen und Wohlthaten nicht zwingen und weich machen; darum muß er auch zuweilen einen Stein mit dem andern schlagen, wiewohl man nicht in Abrede sein kann, daß mit dieser Steinruthe oft auch gottselige fromme Herzen heimgesucht werden, die alsdann der Welt ein Schauspiel sein und ihr von ihrem steinernen Herzen und den darauf folgenden Strafen predigen müssen. Ach, frommer Gott, nimm von uns das steinerne Herz und gieb uns ein fleischernes Herz! Hesek. 11, 19. 36, 26.
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