Der Steckenreiter
Gotthold sah ein Knäblein auf einem Stecken fröhlich und frisch daher reiten, sein Spießrüthlein in Händen habend. Ach, sagte er bei sich selbst, wie glückselig ist die Zeit, die wir also in kindlicher Einfalt zubringen! Was hat ein großer Rittersmann, der auf einem stolzen und prächtigen Gaul daher sprengt, mehr davon, als dieses Kind, weil doch unsere zeitliche Glückseligkeit mehrentheils auf unserem Wahn beruht! da denn dieser ritterliche Fußgänger bei sich selbst und andern vielleicht so viel angesehen ist, als jener. Ja, ein prächtiger Reiter ist oft mit so vielen Sünden, Sorgen, unlustigen Geschäften und Schulden belästigt, daß es Wunder ist, wenn es das Pferd tragen kann. Dieses Kind aber springt fröhlich in seinem Taufkleide und Unschuld daher, hat keine Sorge, wo es für sein Pferd wolle Futter bekommen, und keine Schulden, als damit es seinen Eltern zum Gehorsam und Dankbarkeit verpflichtet ist. Wir lachen dieses Kindleins, daß es auf seinen Füßen reitet und, als hatte es sie entlehnt, daher trabt, allein, wenn wirs recht bedenken, so ist unsere Herrlichkeit und Lust eben so lächerlich, vornehmlich in dessen Augen, der in vielem Kreuz und mancherlei Widerwärtigkeit alt geworden und gelernt hat, die Eitelkeit der Welt verachten und die beständige Herrlichkeit suchen. Die Kinder reiten, fahren, zählen Geld, bauen Häuser, halten Gastmahl, Hochzeit und Kindtaufe, bis sie müde werden und schlafen gehen. Also wir Alten machen uns auch viel zu schaffen, haben mancherlei Einfälle, sammeln Schätze, bauen Häuser, Paläste und Schlösser, bis wir endlich an allen unsern Werken einen Eckel sehen, alles für eitel ausrufen und im Tode uns zur Ruhe geben. Mancher, wenn er zurücksieht auf sein Kinderspiel, kann sich des Lachens nicht enthalten, wenn er aber aus jenem Leben auf die Thorheit dieser Welt wird zurückdenken können, wird er nicht wissen, wann er mehr kindisch gewesen, in der Jugend oder im Alter. Mein Herr Jesu! ich gedenke jetzt an dein Wort: Wahrlich, ich sage euch, es sei denn, daß ihr euch umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen. Matth. 18, 3. Verleih mir Gnade zur kindlichen Einfalt, Demuth, Aufrichtigkeit, Mitleiden, Versöhnlichkeit, Keuschheit und Unschuld! Besser ist es mir in kindlicher Thorheit selig, als in thörichter Weisheit verdammt werden.
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