Der Staub

Als Gotthold bei trockner Sommerzeit über Feld reiste, befand er, daß seine und seiner Gefährten Kleider überall dick bestaubt waren, welches sie doch nicht gewahr worden, ehe es geschehen, und sie nunmehr genug auszukehren und abzuschütteln hatten. Laßt uns, sprach er, hieraus eine gute Erinnerung nehmen von der Sünde und ihren Eigenschaften. Jetzt, da das Wetter am lieblichsten und mit keinem Regen getrübt ist, wird der Staub am meisten erregt, und fällt am dicksten; also, wenn das menschliche Fleisch und Blut gut Wetter und gute Tage hat, so steigen die sündlichen Lüste am meisten empor und fallen in wirklichen Sünden am dicksten herunter. Wie der Staub aus vielen geringen Stäublein besteht und unvermerkter Weise herabfällt, daß man es fast nicht inne wird, ehe man bestaubt ist, so wird aus vielen kleinen eine große Sünde, die man Gewohnheit und Sicherheit nennt und die nächste Stufe hinab zur Hölle ist. Wie der Staub die Kleider verderbt und sich oft so fest darinnen setzt, daß er nicht wieder herauszubringen ist, und niemand gern mit solchen Kleidern ausgeht, sondern dieselben, wie wir jetzt, auszustauben bemüht ist, also macht uns die Sünde scheußlich vor Gott und verderbt unfern guten Namen vor den Menschen, daß wir billig Fleiß anwenden sollen, unser Gewissen zu säubern und unser Leben zu bessern. Wie auf Reisen bei solchem Wetter wol niemand unbestaubt davon kommt, also wird niemand, der auf der Reise dieses vergänglichen Lebens ist, sich rühmen können, daß er mit keiner Sünde befleckt sei. Wie denn endlich der Staub sich manchmal niederläßt, und, als wäre er nicht vorhanden, stille liegt, aber durch ein geringes Lüftlein erregt und aufgetrieben wird, so scheint es auch zuweilen, als hätte die Sünde in uns sich ganz verloren, sie wäre ganz überwunden, und wir nunmehr ungehindert, Gott in einem unsträflichen reinen Wandel zu dienen. Allein, sobald sich eine Gelegenheit findet, so findet sich auch die Sünde, und hätten wir selbst oft nicht vermeint, daß wir noch so viel Weltliches im Herzen gehabt. Ach, gerechter Gott! wie scheußlich und bestaubt ist auch mein Kleid und Wandel vor deinen allerheiligsten Augen! Ich kehre zwar täglich, aber es hilft leider wenig. Ach, verzeihe, mein Vater, verzeihe! säubere du, mein Gott! und reinige mich, so werde ich rein, und gieb, daß ich stets behutsam wandle, mich fleißig vor dem Sündenstaub verdecke und endlich zu deiner Stadt rein und sauber eingehe!

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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