Der Spaßmacher Karl Valentin und seine Furcht vor dem Tod

Von dem Münchner Spaßmacher Karl Valentin (1882 - 1948) wird erzählt, dass er eine geradezu krampfhafte Angst vor dem Tod gehabt hat. Das ist einmal bei einem merkwürdigen Wettrennen in den Straßen Münchens zum Ausdruck gekommen, zu jener Zeit, da man noch pferdebespannte Leichenwagen für die Überführung Verstorbener vom Sterbehaus zum Aufbahren in der Friedhofskapelle benutzt hat. Einem dieser einsam durch die Stadt fahrenden Wagen ist Karl Valentin unversehens begegnet und hat, von panischer, abergläubischer Furcht gepackt, sofort kehrtgemacht und eiligst das Weite gesucht. Den Kutscher aber, der den stadtbekannten Spaßmacher erkannte und um seine sprichwörtliche Angst vor dem Sterben wusste, packte der Übermut. Er folgte dem eilig Ausschreitenden unentwegt mit dem Wagen durch alle Straßen und Umwege. Als Valentin in seiner Herzensangst schließlich in Laufschritt verfällt, da folgt ihm der Kutscher in gröblicher Missachtung des sonst für einen unbegleiteten Leichenwagen üblichen Fahrens im Trab und schwingt hinter dem keuchenden Spaßmacher die Peitsche drein wie ein apokalyptischer Reiter.
Welch ein Anblick! Der Tod jagt einen durch die Straßen der Stadt, der dem Tod nicht in die Hände fallen will, der trotz aller Nutzlosigkeit versucht, um sein Leben zu rennen, der um die Ecken hastet, als ob er schreien wollte: "Aber ich nicht, ich nicht! Nein, ich will nicht sterben! Es muss doch irgendwie einen festen Punkt außerhalb des Todesverhängnisses geben, wohin ich mich retten kann!"
Angst vor dem Tod kennen auch noch andere Leute als dieser Spaßmacher. Übrigens, wie bezeichnend! Da soll ein Spaßmacher die Menschen über Angst, Sorge, Langeweile ihres Lebens hinwegheben, und den Mann jagt selbst die Todesangst! Was ist das für eine winzige, vorgetäuschte Hilfe vor dem Ernst des Lebens, die er den anderen geben kann! Und wie viele schleppen das heimliche Grauen im Herzen mit! Kennen wir es auch? Karl Valentin rennt, um dem Tode zu entgehen. Gibt es denn keinen Ort, wo er den Leichenwagen nicht mehr zu sehen braucht? Wenn der Mann doch Jesus kennte, zu Jesus ginge!
Jesus  -  das ist der Punkt außerhalb der Todeswelt, in die wir alle hineingebannt sind. Das ist der eine, der selber im Tode war, den der Tod aber nicht halten konnte. Das ist der eine, der wiederkam aus dem unheimlichen Land, von dem die Leute sagen: "Es ist noch keiner zurückgekehrt!" Das ist der eine, bei dem die Menschen zur Ruhe kommen und getröstet werden.

Quelle: Hört ein Gleichnis, Heinz Schäfer, Beispiel 476
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