Der siedende Topf

Gotthold sah einen Topf am Feuer stehend so sehr sieden, daß er endlich überwallte und das Feuer mehrentheils auslöschte. Seht, sagte er zu seinen Leuten, diesen Topf an als ein Bild stolzer und übermüthiger Leute, denen ihr Reichthum, Herkommen, Ehre und Gewalt glühende Kohlen sind, die ihr Herz in Ueppigkeit, Frechheit, Verachtung anderer und Hochhaltung ihrer selbst wallen machen, und eben dieses sind die Mittel, dadurch die übermüthige Glückseligkeit sich selbst verdirbt und zu Boden richtet. Mancher ist großen Vermögens, es wallt aber sein Herz in Wollust und ergießt sich durch Pracht und Verschwendung; dadurch wird das Einkommen geschmälert, und er aus dem Ueberfluß in die Dürftigkeit gesetzt. Ein anderer ist adeligen und berühmten Geschlechts und meint, der Adel bestehe in der Freiheit, zu thun, was einem gelüstet, und vernachtheilt dadurch den Glanz seiner Vorfahren, daß sie wie todte Kohlen anzusehen sind. Ein anderer hat Herrengunst, und was darauf zu folgen pflegt, Ehre, Ansehen und Gewalt, allein, weil sein Gemüth solche Glückshitze nicht zu ertragen weiß, sondern sich in Frevel, Muthwillen und Bosheit ergießt, so wird eben dies gemeiniglich die Ursache, dadurch seines Herrn Gunst erkaltet, und alle seine Glückseligkeit verlischt. Meinet aber nicht, daß dieses nur andere und nicht euch angehe; unsere Herzen alle sind wie dieser Topf und werden von übrigem Glück und Wohlergehen voll heißsiedenden Bluts und überwallenden Muths. Es kann und will von niemand nichts leiden, es bricht hervor in stolzem Gang, stechen Geberden, höhnischen Worten, prächtiger Kleidung und übermüthigen Thaten. Drum bittet Gott, daß er euch nicht mehr Glück und Vermögen beschere, als euch nütz und selig ist, in Betrachtung, daß nichts schwerer, als gute Tage und großes Glück mit demüthigem Herzen ertragen. Mein Gott! ich traue mir selbst nicht. Großes Glück möchte mein großes Unglück sein; du giebst oft Glück im Zorn und Unglück in Gnaden. Du giebst nun, was du willst, so gieb ein Herz dabei, das es nach deinem Willen trage!

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
© Alle Rechte vorbehalten