Der siebte Bruder
Es lebten einst sieben Brüder zusammen. Sechs gingen zur Arbeit, der siebte besorgte den Haushalt. Wenn die sechs Brüder müde von der Arbeit nach Hause heimkehrten, fanden sie das Haus geordnet, das Essen bereit und alles in bester Ordnung. Darüber freuten sie sich und lobten den siebten Bruder. Aber einer der Brüder wollte klüger sein als die anderen. Er schalt den siebten Bruder einen Faulenzer und Tagedieb, der auch mit zur Arbeit gehen und sein Brot verdienen sollte. Das böse Wort fand leider bei den anderen Gehör. Sie beschlossen einmütig, dass ihr siebter Bruder nicht länger seines bisherigen Amtes walten sollte. So nötigten sie ihn denn, gleich ihnen Axt und Hacke zu nehmen und mit ihnen am frühen Morgen an die Arbeit zu gehen. Nach langer und schwerer Arbeit kam endlich der Feierabend, und alle sieben traten zusammen den Heimweg an. Müde und abgespannt kehrten sie nach Hause zurück. Aber kein heller, freundlicher Lichtschein winkte ihnen entgegen. Keine fürsorgende Hand hatte das Hauswesen geordnet und den Tisch gedeckt. Kein Bruder stand an der Haustür und empfing sie mit einem herzlichen Wort. Jetzt erst merkten sie, wie töricht sie gehandelt, dass sie ihren siebten Bruder seines stillen Dienstes enthoben hatten. Sie fühlten sich, weil es ihre eigene Schuld war, doppelt elend und verlassen. Da beschlossen sie, ihn wieder in sein Amt einzusetzen.
Das hört sich wie ein Märchen an. Aber es ist kein Märchen. Diese Geschichte wiederholt sich jede Woche bei uns. Der Sonntag ist unter seinen Werktagsbrüdern der Tag, der den anderen sechs Tagen Licht, Heil und Segen bringt. Aber wir haben ihn verstoßen. Nun kommt von ihm keine Kraft, kein Friede, kein Segen mehr zu uns.
(Reinhold Ruthe)
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