Der Seiler

Er sah einen Seiler in seiner Arbeit geschäftig und, als er eine Weile ihm stillschweigend zugesehen, sagte er: die h. Schrift vergleicht die Sünden mit den Stricken, Sprüchw 5, 22. Jes. 5, 18., und zwar sehr füglich; denn wie ein Strick von vielen Fädlein zusammen gedreht und geflochten wird, so selten ist eine Sünde allein, sondern eine wächst aus der andern, und es wird oftmals eine mit der andern entschuldigt und verdeckt. Die bösen lüsternen Einfälle sind die ersten Fäden, die Belustigung an solchen Einfällen die andern, der sündliche Vorsatz giebt den dritten und in Vollbringung der Sünden wird der Strick gedreht, in der Beharrung aber wird der ruchlose Sünder damit zu seinem Verderben gebunden. So geschiehts zuweilen, daß ein Mensch seinem Nächsten heimlich etwas entwendet, dies ist eine Sünde; er wird darum aus unfehlbarer Muthmaßung befragt, und leugnet es, das ist die andere; man dringt weiter in ihn, er verschwört und verflucht sich, das ist die dritte, er wirft des Zuredens halber einen unversöhnlichen Haß aus seinen Nächsten und redet ihm allerlei Uebels nach, das ist die vierte und fünfte; er behält das Entwandte bei sich und will lieber seine Seele verlieren, als es wiedergeben und zeitliche Schande haben, das ist die sechste. Ach, welch ein starker Strick des Teufels ist das, daraus sich ihrer wenige los wirken! Und wie dieser Mann immer hinter sich geht und vor sich arbeitend den Strick in die Länge zieht, so machen es die meisten Menschen, die in ihren Sünden immer fortfahren und als rücklingsgehend um das Ende wenig besorgt sind. Am besten ist, in diesen Sachen, welche die Seele gefährden, nichts gering und klein achten, sondern bald, ehe der Satan Zeit gewinnt die Sündenfaden zu vermehren, dieselben zerreißen; sonst geht’s uns, wie einem Huhn, das zuerst mit einer Klaue in Werg oder verworren Garn geräth und im Fortgehen sich mit beiden Füßen so fest verwickelt, daß es ohne Menschenhand sich nicht loswirken kann und leicht gefangen ist. Mein getreuer Gott! halte mich in deiner Hand und laß mich in Sünde nicht fallen! oder, laß mich in solche Sünde nicht fallen, die ich nicht für Sünde erkenne und halte, damit nicht über alles mein Vermuthen der Satan einen Strick daraus mache, der nicht anders, als mit höchster Gefahr meiner Seele kann zerrissen werden!

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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