Der schönste Altar

Es war in einer Kirche von zwei christlichen Ehegenossen ein neuer kostbarer Altar von künstlichem Schnitzwerk, mit Golde reichlich geziert, verehrt worden, als nun Gotthold nebst einem guten Freunde denselben besichtigte, sagte er: Man kann nicht in Abrede sein, dass die lieben ersten Christen in ihren Versammlungsplätzen nicht besondere Pracht und Schein gesucht; sie hatten schlechte hölzerne Tische, gläserne oder zinnerne Kelche und einen unansehnlichen geringen Stuhl, darauf der Bischof oder Hirte der Gemeine saß, das Volk zu unterrichten. Es waren ihre Kirchen wie der Stall zu Bethlehem, darinnen das größte Wunder war das Jesulein, in einer Krippe liegend und von Maria und Joseph bewundert und angebetet.

Doch nachdem die Kirche unter den christlichen Kaisern Friede bekommen, hat man angefangen, die Kirchen zu schmücken und mit allerlei Zierrath ansehnlich zu machen; und wenn die Welt das meiste Gold und Silber zur Üppigkeit und eitlen Pracht anwendet, so wirds ja hoffentlich nicht unrecht sein, wenn sich fromme Herzen finden, die etwas davon zu den Füßen des Herrn Jesu legen und damit, dass sie seine Liebe, sein Blut und Verdienst über alle Schätze der Welt achten, öffentlich bezeugen.

Es ist mir gewiss von Herzen lieb, wenn ich sehe, dass die Liebe des Herrn Jesu doch von etlichen erkannt und vor aller Welt mit solchen Denkmalen gerühmt wird. Unser werter und teurer Erlöser hat im hochwürdigen Abendmahl uns ein Gedächtnis seiner Liebe gestiftet, warum sollten wir nicht nach Vermögen aus einem gläubigen und dankbaren Herzen ein Denkmal unserer Gegenliebe hinterlassen? Ich gedenke hiebei an jenes frommen Juden (Philo) Wort, welcher spricht: „Wenn die ganze Erdkugel plötzlich in einen Goldklumpen verwandelt und sofort durch der Künstler Hand daraus lauter Wohnungen und Tempel bereitet würden, so wäre es doch nicht einmal für einen tüchtigen Fußschemel unsers Gottes zu achten.“ Und was ist alles Gold der Welt gegen das Blut und die Liebe des Herrn Jesu?

Bald aber fuhr er fort, sagend: Meinet ihr aber wohl, dass auch der Geringste unter den heiligen und gläubigen Liebhabern des Herrn Jesu noch einen bessern und köstlicheren Altar erbauen kann? Obgemeldeter Jude tut bald nach den angezogenen Worten hinzu, die geheiligte Seele sei dennoch Gottes Wohnung, und ich will sagen, das bußfertige und gläubige Herz sei der schönste Altar.

Ich habe in der Kirchengeschichte eine merkwürdige Erzählung gefunden. Lucianus, ein Lehrer der Kirche und Priester zu Antiochia, war ums Jahr Christi 311 wegen seines christlichen Bekenntnisses und Eifers ins Gefängnis geworfen und daselbst an der Erde an Stöcken und Blöcken also angefestet, dass er mit weit von einander gesperrten Beinen und über dem Haupt hoch aufgezogenen Händen stets musste auf dem Rücken liegen; weil ihm nun keine andere Speise, als vom Götzenopfer gereicht ward und er dieselbe zu nehmen sich weigerte, war in Kurzem nichts anders, als sein Abschied zu vermuten. Weil nun das Christfest nahe, bedauerten die Gläubigen, dass dieser tapfere Streiter Jesu Christi dasselbe nicht erleben würde; er aber, als er solches inne ward, sagte: "Ich werde dieses Fest noch erleben, des folgenden Tages aber von hinnen fahren."

Als nun das Fest herbei gekommen, wünschten sie mit diesem ihrem Hirten das letzte Abendmahl zu halten, waren jedoch bekümmert, wie sie einen Tisch ins Gefängnis bringen und diese heilige Handlung vor der Ungläubigen Augen verbergen möchten. Der Märtyrer aber sagte: "Der Tisch, darauf wir das Abendmahl halten wollen, soll diese meine Brust sein, welche sich hoffentlich nicht weniger dazu schicken wird, als ein anderer, der aus lebloser Materie gemacht, ihr aber sollt der Tempel und die Kirche sein, indem ihr einen Kreis um mich her schließt!" Darauf denn Brot und Wein auf seine Brust, als er so an der Erde lag, gesetzt, von ihm gesegnet und genossen, wie auch an andere, so zugegen waren, ausgeteilt und den Abwesenden zugesandt worden, und also ist erfolgenden Tages, wie er gesagt, nachdem er dreimal den kaiserlichen Abgeordneten zugerufen: "Ich bin ein Christ!" verschieden.

Was dünkt euch bei diesem Altar? Einen solchen nun kann ein jedes gottseliges Herz ohne Kosten bauen und hat also auch die Armut keine Entschuldigung! So sei nun, mein Herr Jesu! mein Herz dein Altar, deinem Dienst gänzlich und allein im Glauben und in der Liebe geheiligt; hier will ich dir meinen Verstand, Willen, Gedächtnis, meine Tränen, Seufzen und Gebet opfern, und will also zugleich Altar und Priester sein.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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