Der Schmeichler

Es ward von einer reichen Frau erzählt, daß dieselbe gar milde und mitleidig gegen die Armen sich bezeigte, hätte aber einen Nachbar, der ihr stets zu Gefallen redete und nicht nur ihre Wohlthätigkeit gegen die Dürftigen, sondern auch ihren ganzen Wandel gegen andere Leute in ihrem Beisein mit vielen Schmeichelworten zu rühmen wüßte, darum er denn auch sonderliche Gunst bei ihr fände und zu öfters auch ihrer Freigebigkeit zu genießen hätte. Gotthold sagte hiezu: Ich erinnere mich eines Gedichtes der Alten, daß ein Rabe habe einmal einen Käse gestohlen und habe mit seinem Raube auf einen Baum sich gesetzt, denselben zu verzehren; als nun der Fuchs solches inne geworden und lieber selbst den Käse gegessen hätte, als einen andern ihn essen sehen, habe er sich unter dem Baum eingefunden und angefangen, den Raben trefflich zu loben, , wie schwarzglänzend seine Federn, wie schön sein Schnabel, wie scharf seine Klauen, wie schnell sein Flug und vor allem wie lieblich seine Stimme wäre. Der Rabe durch dieses Schmeichellob bewogen, wird muthig und will vor Freuden jauchzen. Als er nun den Schnabel aufthut und sein Koras heraus würgt, entfällt ihm der Käse, welchen der Fuchs sofort nimmt, verzehrt und dem Raben das Nachsehen läßt. Ihr vernehmt leicht, was hiemit gemeint sei, nämlich, was ihr jetzt erzählt habt. Was thut der Schmeichler und Mundstreicher anders, als daß er der guten Frau ihre Gutthaten zu nichte macht, indem er wegen ihrer Almosen die Posaune bläst und sie unter dieselben bringt, von welchen unser Erlöser sagt: Sie haben ihren Lohn dahin! Matth. 6, 2. Er rühmt sie, nicht weil sie den Armen Gutes thut, sondern weil er selbst viel Wohlthaten von ihr empfangen hat und noch mehr erwartet. Indessen vergißt sie des Worts ihres Erlösers, der da spricht: Wenn du Almosen giebst, so laß die linke Hand nicht wissen, was die rechte thut, Matth. 6, 3.; in der Meinung: willst du dem dürftigen Nächsten Gutes thun, so laß es nicht allein andere Leute nicht wissen, sondern bemühe dich, es selbst auch nicht zu wissen und es stracks zu vergessen, damit du nicht in Hoffart und Vertrauen auf dich selbst fallest, welches ärger ist, als alle andern Laster, weil es auch die Tugend zur Sünde macht; begnüge dich daran, daß es dein Nächster gedenkt, oder, so du es vergissest, daß es in Gottes Tagbuch verzeichnet wird. Der Teufel ist der Frommen Schmeichler, und, wenn er ihre Gutthaten nicht hindern kann, so trägt er ihnen zum wenigsten einen Spiegel vor, darinnen sie alle ihre Frömmigkeit sehen sollen, daß er das Gefallen an ihnen selbst in ihnen erwecken, sie selbst zu ihrem Abgott machen und also mit einem Streich alles ihr Wohlthun zu nichte machen möge, und hierin geht ein solcher Schmeichler dem Satan zur Hand. Selig ist, der Gutes thut mit einfältigem und vergeßlichem Herzen!

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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