Der Scheinwerfer

"Es ist grad wie bei den Scheinwerfern im Krieg. Wie ein riesiges böses Auge schaut's und schaut's aus ihnen heraus und merkt sich alles, und nachher kommt dann der Granatenschuss und schlägt ein, wo das Auge hingespäht hat. So, sage ich, haben wir alle einen Scheinwerfer in uns, mit dem beleuchten wir haarscharf die Schwächen und Fehler der andern, und nachher, wenn wir meinen, jetzt können wir sicher zielen, schießen wir, nicht mit Granaten, aber mit Geschossen, die viel gefährlicher sind als Granaten, weil sie nicht nur den Leib, sondern die Seele treffen: mit Worten! Oh, wie scharf sehen wir da, wenn wir auf andere sehen! Bei uns selbst merken wir nicht das geringste, aber bei andern alles. Grad wie das Mädchen, das ich einmal beobachtete, wie es seinem jüngeren Schwesterchen wehrte, Schnee zu essen, und im selben Augenblicke eine große Ladung sich ins Mäulchen stopfte. So eine Heuchlerin! Und merkte es nicht einmal! Ja, als ich mich nicht enthalten konnte, sie auf ihr seltsames Betragen aufmerksam zu machen, da hatte sie sofort die Antwort bereit: ,Das ist etwas ganz anderes, ich bin älter!' Seht mir da den kleinen Rechthaber und Unfehlbaren! Oh, schon die kleinen Kinder sind's: Unfehlbar selbst - nur die andern haben die Fehler."
Aus: H. Kutter, "Das Bilderbuch Gottes".

Quelle: Er ist unser Leben: Beispiel- und Stoffsammlung für die Verkündigung, Martin Haug, 1941, Beispiel 1964
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