Der Rabe
Gotthold sah einen Raben daher fliegen, der sich auch nicht weit von ihm auf einen dürren Zweig setzte und seine rauhe Stimme hören ließ. Er war eben voll trauriger Gedanken und ermunterte sich durch dieses Fügniß, sagend: nun werd ich eingedenk der Worte meines Erlösers: Nehmet wahr der Raben, sie säen nicht, sie erndten auch nicht, sie haben auch keine Keller, noch Scheunen, und Gott nähret sie doch; wie viel aber seid ihr besser, als die Vögel. Luc. 12, 24., womit er denn ohne Zweifel uns verweisen wollte auf die Worte Hiobs und Davids, darin sie lehren, daß Gott den Raben die Speise bereite, wenn ihre Jungen zu Gott rufen, irre fliegen und nicht zu essen haben, Hiob 38, 41. Ps. 147, 9., und auf die Geschichte des Propheten Elias, welchem die Raben auf Gottes Gebot alle Morgen und Abend Brod und Fleisch, gebracht. 1. Kön. 17, 4. b. Was plag ich mich denn selbst mit meinen eignen Gedanken und bin mir selbst eine Last? Diesen schwarzen, unstäthigen, unangenehmen Vogel läßt Gott nicht unversorgt, weil er sein Geschöpf ist und ihn anruft, so gut er’s ihm gegeben hat, und er sollte meiner vergessen, der ich sein Kind bin, in dessen Herz sein Geist ohne Unterlaß schreit: Abba, lieber Vater! Das sei ferne! Ich habe nie meinem hungrigen Kinde das Brod genommen und es den Hunden oder Hühnern vorgeworfen; wie sollte denn der himmlische Vater mir das Brod entziehen und die unvernünftigen Thiere versorgen? Mein Gott! ich schäme mich, daß dieser unvernünftige und schwarze Lehrmeister mir vom Vertrauen auf deine Güte predigen muß, da ich doch so viele Proben deiner väterlichen Fürsorge in meinem Leben finde, die mich alle deiner beharrlichen Gunst und unverkürzten Hand versichern. Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott! Denn ich werde ihm noch danken, daß er meines Angesichtes Hülfe und mein Gott ist. Ps. 42, 12.
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