Der Odem

Als einer über seine enge Brust und schweren Odem klagte, sagte Gotthold: Wenn diese Beschwerde nicht wäre, so würde die Wohlthat des Höchsten, die er uns in dem Odemholen erweiset, schwerlich in Acht genommen; er hat dem Herzen die natürliche Hitze eingepflanzt, welche es durch stetige Bewegung in alle Glieder vertheilt. Damit aber das Herz in solcher stetigen hitzigen Arbeit bestehen könne, hat er ihm die Lunge als einen Blasbalg zugesellt, welche immer die kühle Luft von außen schöpft und das Herz damit kühlt, hingegen viele unreine Dünste hinausstößt. Ohne dieses Kunstwerk könnte der Mensch nicht leben, darum auch die Schrift sagt, daß Gott jedermann allenthalben Leben und Odem giebt, Apostelg. 17, 25., daß sein Aufsehen unsern Odem bewahre, Hiob 10, 12., ja daß er unsern Odem und alle unsere Wege in seiner Hand habe. Dan. 5, 23. Darum sollen wir billig Gott loben, so lange der Odem in uns ist. Jener Mahomedaner hats sehr wohl getroffen, wenn er schreibt: Ein jeglicher Athem, den man in sich zieht, verlängert das Leben, und der wieder aus uns geht, erfreut den Geist, darum sind im Athemholen des Menschen zweierlei Gnaden und für jedwede soll man von Herzen danken. Dieser elende Blindling vermeint, man könne ohne Gottes Gnade nicht Odem holen, darum solle man ohne Gottes Lob keinen Odem lassen; sollte er wol nicht am jüngsten Tage aufstehen und uns undankbare Christen verdammen? Eines Christen Herz und Mund sollte billig sein als ein Balsambüchslein, welches, sobald es geöffnet wird, einen lieblichen Duft und anmuthigen Geruch von sich giebt; so sollten stets unsere Gedanken, Begierden und Worte mit dem Preis göttlichen Namens gemengt sein, daß, wenn wir den Mund aufthäten, man nichts, als was zur Ehre Gottes und des Nächsten Erbauung dient, zu vermuthen hätte. Gedenket aber auch allezeit daran, wie leicht es um unsern Odem geschehen sei. Man hat Exempel, daß Leute an einem Harlein, an einem Weinbeerstein, an einem Brodkrümlein sind plötzlich erstickt. Hadrian, der vierte des Namens, römischer Papst, als ihm im Reden eine Mücke in die Luftröhre geflogen, ist geschwinden Todes gestorben. Ein gottloser Mensch, dem das Essen gleich gut geschmeckt, wenn er schon, wie er zu reden pflegte, nicht viel Pfafferei darüber machte, geht in eine Garküche und will eine Suppe mit Semmelschnitten essen und erstickt am ersten Löffel voll. Eines Stadtschreibers zu Kopenhagen Diener, ein junger Mensch von 19 Jahren, steht vor dem Tisch und wartet den Gästen auf; als nun eine Schüssel, darinnen ein kleines Stück von einer Ochsenzunge übrig geblieben war, vom Tisch gegeben wird, steckt er solches eilends und heimlich in den Mund und muß daran ersticken, ehe man ihm Hülfe schassen kann. Darum laßt uns unsern Odem mit stetigen demüthigen Seufzern mischen und in der Furcht Gottes behutsam wandeln. Mein Vater! meines Leibes Odem hat dein Aufsehen bisher bewahrt; meiner Seele Odem steht in deiner Güte; darum soll mein Leib und Seele deine Gnade rühmen, so lange in mir der Odem ist.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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