Der Nussbaum

Es hatten sich etliche gute Leute unter einen wälschen Nußbaum gesetzt, seines Schattens wider des Tages Hitze sich zu bedienen. Gotthold ging vorüber und warnte sie, daß sie sich nicht zu lange unter solchem Baum sollten aufhalten, weil sein Schatten der Gesundheit schädlich wäre und große Hauptschmerzen zu erregen pflegte. Als sie nun antworteten, daß sie nichts Schädliches empfunden, sagte er: Ihr werdet es aber hernach und vielleicht erst auf den Morgen empfinden. Wir haben, fuhr er fort, an diesem Baum ein Vorbild der bösen Gesellschaft. Ein gottseliges Herz, welches wider seinen Willen mit unheiligen Leuten umgehen muß, meint oft, es wolle sich mit einem guten Vorsatz wohl verwahren, alle Sinnenpforten wohl verschließen und nichts Sündliches zu seinem Gemüth lassen eindringen, und dies scheint auch im Anfang glücklich von statten zu gehen, allein hernach muß er mit Leidwesen befinden, daß die böse Gesellschaft wie dieser Baum gewesen, dessen Schatten anfangs kühl und anmuthig scheint, hernach aber allerlei Beschwer verursacht; der Satan weiß hernach alles, was vorgefallen ist, sich fein zu Nutz zu machen und alles fleischliche Wesen der Seele wieder vorzuspielen, daß sie oft in ihren heiligen Uebungen dadurch irre gemacht wird und ihre Andacht merklich geschwächt findet. Wohl sagt der gottselige Tauler: „Gleichwie du dich in dem Gebet finden wolltest, also sollst du dich auch außer dem Gebet halten, denn Dinge, die du mit Liebe außer dem Gebet übest, die fallen dir wieder ein beim Gebet, es sei dir lieb oder leid.“ Gewiß, wer unter den Tabackschmauchern sitzt, da er schon nicht mit trinkt, kann doch nicht verwehren, daß ihm nicht der Geruch sollte etliche Tage anhängen. Also wer unter liederlichen Leuten ist, ob er schon ihren Scherz und Narrentheiding mit Verdruß und Widerwillen hört, wird doch nachher genug zu thun haben, daß er den sündlichen Einfallen widerstehe und des Satans Pfeile zurück schlage. Darum ein alter Lehrer sehr nachdenklich gesagt, die gottlosen Gesellschaften wären rechte Säugammen des Teufels. Am besten weit davon und mit ihnen unverworren; die wenige und sündliche Lust, die sie geben können, wird endlich den Herzen eine Last; ihr Scherzen bringt Schmerzen, ihr Wein bringt Pein. Davon will ich euch noch einen andern Ort des obgemeldeten Tauler anführen: „Ach wahrlich,“ spricht er, „man kehre sich, wohin man wolle, oder zu wem man wolle in dieser Zeit, so findet man nichts anders, denn Falschheit und Untreue und Unfriede in allen äußerlichen Dingen und leiblichen Personen; da man oft meint großen Trost und Ergötzung zu suchen und zu finden, da verlieren wir den innerlichen Trost und werden gänzlich beraubt des Friedens unsers Herzens, den wir lange Zeit gesammelt haben in Abgeschiedenheit, und gewinnen großen Unfrieden in uns selber, daß wir uns verschulden mit unnothdürftigen, überflüssigen, unwahrhaftigen Worten und mit Zeitverlieren und sonst mit mancherhand Dingen, davon unser Herz und unsere Liebe erkaltet und erlöschet, daß wir hernach ein großes Nagen und Beißen gewinnen in unserm Gewissen.“ Ach, mein Gott! dies sagte dein Dimer zu seiner Zeit, vor mehr als 300 Jahren; was würde er jetzt sagen, da alles mit ärgerlichem, gottlosem Wesen überschwemmt ist, daß ein zartes Gewissen fast aus dem Hause nicht gehen oder sehen kann ohne Anstoß? Ach Herr! habe Acht auf meine Seele, bringe sie durch so viel Gefahr und Stricke des Satans wider seinen Dank hindurch zum ewigen Leben, so will ich deinen Namen preisen immer und ewiglich I

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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