Der Nagel im Baum

Es hatte ein guter Mann in seinem Garten an einem Baum eine Latte mit einem eisernen Nagel befestigt; als nun der Baum nach und nach verdorrte, bedauerte er es sehr, konnte aber die Ursache solchen geschwinden Verderbens nicht errathen. Als nun Gotthold hievon mit ihm redend ward, erinnerte er sich, gelesen und erfahren zu haben, daß, wenn man in einen grünen Baum einen eisernen Nagel schlägt, dessen Verdorrung darauf zu erfolgen pflege. Weil er nun wohl wußte, daß dieser Mann oft mit Traurigkeit und Sorgen sich plagte, sagte er: Nehmet hier wahr eine Abbildung eines Menschen, dem die Traurigkeit und Melancholie stets wie ein Nagel im Herzen steckt; gewiß kann es ihm in die Länge nicht anders, als diesem Baum ergehen. Denn Sorge im Herzen kränkt und drückt, Sprüchw. 12, 25., und Traurigkeit todtet viel Leute und dient doch nirgends zu. Sir. 30, 25. Traurigen und sorgenvollen Leuten gehts wie denen, die sich einer Krankheit befahren und mit vielfältigen und oft wiederholten Arzneien derselben zuvor kommen wollen, da sie doch öfters die Natur nur verschwächen und ihren Tod beschleunigen. Darum rathsamer ist, daß man mit weniger Arznei und vieler Mäßigkeit der Natur zu Hülfe kommt, damit sie wider die anfallende Krankheit desto glücklicher streiten möge. Also ists besser, wenig sorgen und viel beten, als Unglück mit Traurigkeit, ein Uebel mit dem andern vertreiben wollen. So ihr aber mir folgen wollt, will ich euch einen rechten, guten Rath wider Traurigkeit und Sorgen geben. Erwählt euch einen gottseligen und vertrauten Freund, dem ihr euer Anliegen kühnlich entdecken und dadurch eurem betrübten Herzen Luft machen könnt. Zwar Gott ist der beste Freund, allein, weil er seine Lust an der Menschen Freundschaft hat, so verweiset er uns oft an einen gottseligen Menschen, und ist eines Freundes Stimme Gottes Stimme. Wenn einer eine Last weit und allein zu tragen hat, ermüdet er leicht und bleibt darunter liegen; wenn er sie aber mit einem wohlwollenden Gefährten theilt, so kann er weiter wandern. So ists auch mit dem Kummer dieses betrübten Lebens; wie sollen wir einer des andern Last tragen, als der Apostel gebeut, Gal. 6, 2., wenn ich, was mir zu schwer wird, andern nicht entdecken und auflegen will? Suchte doch unser Heiland selbst in seiner tiefsten Traurigkeit Trost bei seinen Jüngern und kam etliche Mal, sagend: Könnt ihr nicht eine Stunde mit mir wachen? Matth. 26, 40. Mein Herr Jesu! du weißt wohl, wie einem betrübten Herzen zu Muth ist! Um deiner Traurigkeit willen hilf allen betrübten Leuten, erleichtere die mit Sorgen belästigten Herzen!

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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