Der Maler gab Pilatus sein eigenes Gesicht

Über das bekannte Ecce-homo-Bild von Lovis Corinth (1858-1925) schreibt Friedrich Laubscher: "Ecce homo - Sehet, welch ein Mensch!" Mit diesen Worten stellt Pilatus nach dem Bericht des Evangeliums Jesus dem Volk von Jerusalem vor die Augen. Zuvor hat er ihn geißeln lassen, und die Spuren dieser Geißelung trägt Jesus überall an seinem Körper, an den Armen und im Gesicht, uns sichtbar. Die Hände sind ihm eng übereinander gefesselt. Er trägt den roten Mantel des Spottes, und in der Hand hält er einen Stecken:
Der König der Juden, wie es dann an dem Kreuz geschrieben stehen wird. Es ist, als wollte uns der Künstler, der das Bild dieser Szene gemalt hat, sagen: Seht, das haben die Menschen mit der göttlichen Liebe gemacht! Das haben sie aus dem gemacht, der umhergegangen und allen wohlgetan hat! Es ist das letzte Bild, das Lovis Corinth - 1925 - gemalt hat, und dieses Bild von der leidenden Liebe Gottes ist wie sein Testament und Vermächtnis. Wer aber war schuld daran? Der Maler stellt Jesus zwischen die beiden Hauptvertreter der Menschheit, den Gelehrten und den Soldaten, die Vertreter menschlicher Wissenschaft und des Fortschritts auf der einen und der Macht und Gewalt auf der anderen Seite. Beide helfen dazu, den Christus Gottes zum Tode zu bringen. Ein erschütterndes Bild, wenn wir begreifen, auf welche Tatsachen es hinweist! Aber noch erschütternder wird dieses letzte große Bild von Lovis Corinth, wenn wir erkennen: In diesem geistvollen Professor, dem Vertreter von Kunst und Wissenschaft, als den der Maler den Pilatus hier zeigt, hat er sich selbst dargestellt. Hier ist zum unvergesslichen Symbol unseres Christseins geworden, was Paul Gerhardt mit den Worten seines bekanntesten Passionsliedes ausgedrückt hat: "Nun, was du, Herr, erduldet, ist alles meine Last; ich hab es selbst verschuldet, was du getragen hast."

Quelle: In Bildern reden, Heinz Schäfer, Beispiel 1138
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