Der Maler
Als Gotthold dazu kam, daß ein kunstreicher und gottseliger Maler einen jungen Menschen abzubilden im Werk begriffen war, und ihm eine Weile zugesehen hatte, sagte er: Ich weiß nicht, ob ihr leiden könnt, daß man bei dieser eurer Arbeit mit euch spricht, zumal ich gestehen muß, daß es fast einerlei sei, wenn man einem Gelehrten in seinem Nachsinnen und einem Maler in seinem Bilden zuredet, weil das Gemüth dadurch von seinem Vorhaben abgewandt und irre gemacht wird. Wie aber jener antwortete, er könnte es gar wohl leiden, und weil er sich von ihm keiner andern, als zur Gottseligkeit und Besserung gerichteten Reden versichert hielte, würde es eine selige Abkehr des Gemüths sein, wenn ihm eine oder ander gute Erinnerung ins Herz gebildet würde; hierauf fuhr Gotthold fort: Ihr wisset, daß der Geist Gottes sagt: Christus Jesus sei uns nicht allein zum Gnadenstuhl, Rom. 3, 25., sondern auch zum Vorbild, 1. Petr. 2, 21., vorgestellt und vor die Augen gemalt. Gal. 3, 1. So ist nun Jesus das Original, das wir nach dem Leben in unserm Leben abbilden sollen. Gott hat uns verordnet, daß wir sollen gleich sein dem Ebenbilde seines Sohnes. Rom. 8, 29. Christen müssen lauter schöne Bilder werden, mit welchen Gott sein Haus ausschmücken will, welches aber dem Bilde seines Sohns nicht ähnlich ist, das wird verworfen. Etliche Leute machen viel Wesens von dem Bilde, welches unser Erlöser dem Abgarus, Könige zu Edessa, soll zugeschickt haben, und berichten, daß erstgemeldeter König einen Maler gesandt, unsern Heiland nach dem Fleisch abzubilden; als aber derselbe sein Antlitz vor dem hellen Glanz, den es von sich gab, nicht anschauen und es also nicht malen konnte, habe der Herr ein Tuch an sein h. Angesicht gehalten und darin selbiges eigentlich abgedrückt, welches man auch noch vermeinet an einem Ort zu haben und es in großen Ehren hält. Allein willst du wissen, wie Christus ausgesehen und wie er eigentlich gestaltet gewesen, so siehe an einen seiner rechtschaffenen Nachfolger, dem wird die Freundlichkeit, Sanftmuth, Demuth, Keuschheit, Mäßigkeit und andere göttliche Tugenden aus den Augen leuchten, und hierin ist sein rechtes Bild, um welches wir am meisten müssen bekümmert sein. Wie nun ein Maler durch stetiges und vielfältiges Anschauen erstlich sich muß ein Gesicht in sein Herz bilden oder in sein Gemüth fassen und es hernach, so viel ihm möglich, mit Farben auf dem Tuch vorstellen, also muß das Bild Jesu Christi zuerst durch den Glauben ins Herz gefaßt und hernach im heiligen Leben und liebevollen gottseligen Wandel ausgebildet werden. Darum muß alle Augenblick und bei allen unsern Verrichtungen unser Herz auf Jesum gerichtet sein, wie denn ein berühmter Gottesgelehrter (Schererz) wohl gesagt: „Ein rechter Christ kann keine Stunde in dieser Welt zubringen, da er nicht an seinen Heiland gedenke. Denn er ist unserer Seligkeit Anfang, Mittel und Ende, und wo ein Christ gefunden wird, der viel Stunden kann vorüber gehen lassen, darinnen er sich des Herrn Christi nicht erinnere, so wisse er, daß sein Christenthum Halbding ist und er Christum nie hat lernen recht lieb haben.“ Wo nun das Bild Jesu im Herzen ist, da wird sichs auch in allen Worten, Werken und Geberden eräugen. Man muß auch bei dieser Arbeit nicht überdrüssig und kleinmüthig werden. Ein Bild wird nicht auf einmal, sondern allmälig nach oft wiederholtem Anschauen und gemachsamer Auftragung der Farben endlich verfertigt. Also hat ein Christ sein Leben lang damit zu thun, daß er seinen Erlöser in sein Herz fasse und in seinem Leben abbilde. Ach wie oft wird er in dieser Arbeit gehindert! Wie manchmal wird, was er mühsam bearbeitet hat, verderbt! Doch muß man den Muth nicht sinken lassen; im Irren lernen wir, und die Vollkommenheit wird aus der Unvollkommenheit geboren. Ach, Herr Jesu! nimm vorlieb mit unserm Lehrwerk und guten Willen, und bilde dich selbst in unseren Herzen, daß du auch äußerlich an unserem ganzen Wandel mögest erkannt werden.
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