Der Lobgesang

Gotthold ging an eines Handwerksmannes Haus vorbei und hörte, daß derselbe mit seinen Leuten nach eingenommenem Frühstück einen Dankpsalm freudig und artig sang; darüber erregte und bewegte sich sein ganzes Herz und sagte bei sich selbst: ach mein Gott! wie lieblich ist dein Lob in meinen Ohren! wie erfreulich ist es meiner Seele, daß du für all deine Güte dennoch von etlichen wenigen gepriesen wirst! Die meisten Menschen sind leider! fast thierisch geworden und gleichen den Säuen, welche zur Herbstzeit die Eicheln unter dem Baum auflesen und davon fett werden, dem Baum aber, der sie gegeben, keinen Dank wissen, als daß sie sich etwa daran reiben und seinen Boden umwühlen. „Ach, daß wir sonst nichts anders thun möchten,“ sagt einer deiner Freunde (Thomas a Kempis), „denn Gott mit Herz und Munde loben! O daß wir weder essen, noch trinken, noch schlafen dürften, daß wir Gott stets loben könnten und allein himmlische Dinge abwarten möchten!“ Sehr wohl haben es etliche gottselige alte Christen gemeint, die solche Kloster und Kirchen gestiftet, darinnen man dich, du heiliger, gütiger Vater! ohn Aufhören, Nacht und Tag loben sollte, wie denn zu Zeiten des Gennadius, Erzbischofs zu Konstantinopel, ein solches Kloster daselbst erbaut und mit nothdürftigen Einkünften versehen ist von einem vornehmen begüterten Mann, Studius benamt, darinnen eine solche Anzahl Mönche erhalten worden, daß ein Chor das andere hat immer ablösen und also das Lob göttlichen Namens immerdar hat fortgesetzt werden können, darum man sie die Schlaflosen und von ihrem Stifter die Studiten genannt. Dergleichen ist hernach auch in dem Kloster des h. Kolumban zu Lurau und zu Meißen von den löblichen Fürsten zu Sachsen, Albrecht und Ernst, angestellt worden. Was hiebei von Aberglauben und Vertrauen auf Menschenwerk mit untergelaufen, wird billig unter Holz, Heu und Stoppeln gerechnet. 1. Cor. 3, 12. Indessen muß dein Lob, mein Vater! nicht stille sein, und wo wir Menschen schweigen, so werden die Steine schreien. Wir müssen das ewige Leben in dieser Welt anfangen, nicht allein im Genießen, sondern auch im Loben und Preisen. Unsere Seele muß einer Blume gleichen, welche nicht allein den gütigen Einfluß des Himmels empfäht, sondern auch einen liebreichen Geruch als zur Dankbarkeit stets von sich duftet. Wir müssen wünschen mit jenem frommen Mann, daß unser Herz als ein Weihrauchkörnlein in dem Feuer der göttlichen Liebe zerschmelzen und zerfließen und den süßen Dampf des göttlichen Lobes von sich geben möge; oder mit jenem frommen Märtyrer uns willig erklären, zu Asche verbrannt zu werden, nur daß aus unserm Aschenhaufen ein Blümlein zu Gottes Lob und Preis entsprießen und hervor kommen möchte; wir müssen willig sein, den Garten der Kirche Gottes mit unserm Blute zu feuchten, nur daß er desto fruchtbarer werde zum Lobe und zum Ruhm unsers Herrn. Nun, mein Gott! ich will dich loben allezeit, dein Lob soll immerdar in meinem Munde sein! Ein jeder Odem, den ich aus der gemeinen Luft schöpfe, ist mit deiner Güte zur Erhaltung meines Lebens gemengt, und ein jedes Hauchen, das aus meinem Munde geht, soll zum wenigsten mit einem herzlichen Verlangen deines Lobes und Preises gemischt sein. Halleluja! Halleluja! preiset mit mir, ihr h. Engel, ihr Menschen und alle Kreaturen, den Herrn, und lasset uns mit einander seinen Namen erhöhen. Halleluja!

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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