Der Laurer

Einer klagte, daß, als er mit einem guten Freunde im Vertrauen geredet hätte, ein anderer wider ihr Vermuthen im Winkel wäre gestanden, sie behorcht hätte und hernach ihre Rede ausgetragen und große Uneinigkeit damit angerichtet. Gotthold sagte: Es sind böse Leute, die Laurer und Horcher, und was sie anrichten können, bezeugt König Sauls blutgieriger Fuchsschwänzer Doeg, 1. Sam. 21, 7. 22, 9., der mit seinem verrätherischen Lauern 85 Priester sammt Weibern und Kindern ums Leben brachte. Ein solcher Mensch ist ärger, als ein Dieb, weil ein Dieb, was er an Gütern stiehlt, ihm selbst zum Besten, jener aber, was er an Heimlichkeiten mit Lauern erhascht, andern zum Schaden und Vernachtheilung ihres guten Namens anwendet. Allein sagt mir, wie seid ihr so unvorsichtig mit euren Worten umgegangen? Wißt ihr nicht, daß es oft besser wäre, eine Perle vom Kranz oder Schnur, als ein Wort von der Zunge verlieren? So lang ihr ein wichtiges Wort bei euch behaltet, so lange ist es euer; so bald ihrs aber heraussagt, gehört es allen denen, die es hören, mit oder wider euren Willen, und da ist es denn kein Wunder, daß sie damit umgehen als mit einer Sache, die ihr ist, sie setzen etwas dazu, sie nehmen etwas davon, sie dehnen es aus, oder ziehen es ein und geberden sich damit nach dem Gutdünken ihres Herzens. Wollt ihr dies nicht, so schweigt und behaltet euer Wort beim Herzen. Ihr sagt, ihr habt im Vertrauen mit einem guten Freunde geredet und euch des Laurers nicht versehen; Lieber, erinnert euch, was der weise König sagt: Fluche dem Könige nicht in deinem Herzen und fluche nicht (rede nicht Böses von) dem Reichen in deiner Schlafkammer, denn die Vögel des Himmels führen die Stimme und die Fittiche haben, sagens nach. Pred. 10, 20. Denket aber allezeit hieran und seid künftig behutsamer in euren Reden. Vergesset auch nicht eines andern Laurers, der allezeit horcht und alles hört, sieht und weiß, was wir insgeheim bei uns selbst oder im Vertrauen mit andern reden, thun oder denken! ich meine das wachsame Gewissen. Was ist das anders, als ein bestallter Buchhalter Gottes über unser ganzes Leben? Saget mir, wolltet ihr wol frei und ungescheut reden alles, was euch einfiele, wenn ihr wüßtet, daß einer in der Gesellschaft wäre, der alles einsammelte und hernach zu Papier brächte? Ich halte nicht. Warum scheut ihr euch denn vor eurem Gewissen nicht, welches alles verzeichnet und euch einmal vielleicht mehr vorhalten möchte, als es euch lieb wäre? Mein Gott! lege ein Schloß an meinen Mund und drücke ein fest Siegel auf mein Maul, daß ich dadurch nicht zu Fall kommen möge. Sir. 22, 33.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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