Der Lappen

Gotthold war über einige Verleumdung und unchristliches, widriges Urtheil, so von einer Person über sein wohlgemeintes und wohlgegründetes Thun gefällt, Unmuths und betrübt, (wie sich denn anfangs unser Fleisch und Blut nicht wohl schicken will, die Dornkrone Jesu Christi für einen Blumenkranz zu tragen) und ging im Hause in tiefen Gedanken auf und nieder; indessen ward er eines Lappens gewahr, welchen seine Leute irgend in der Küche oder zum Fußbade gebraucht, und erinnerte sich dabei, was von dem frommen Mönche, Heinrich Suso, berichtet wird, und was er selbst erzählt, er sei auch einmal Schmachreden halber betrübt gewesen, und als er in seiner Zelle saß, sah er einen Hund, der lief mitten im Kreuzgang und schleifte da ein Fußtuch um und warf es bald auf, bald nieder, darüber er seufzend sagte: „Wahrlich, Herr vom Himmelreich! also bin ich in der Brüder Mund als ein Fußtuch.“ Er gedachte dabei: „Siehe, das Fußtuch läßt sich behandeln von dem Hunde, wie er will, er wirft es auf, er wirft es nieder, oder er tritt darauf, also sollst du es auch thun; man halte dich hoch oder schlecht, oder man verschmähe und verspeie dich, so sollst du es in Sanftmuth aufnehmen;“ darauf er den Lappen aufgehoben und in seiner Zelle verwahrt; „da ich es“, spricht er, „mit innern und äußern Augen ansehe.“ „Ich wollte es dir“, schreibt er weiter an seinen Freund, „haben gesendet, daß dir dein Leiden desto leidlicher wäre gewesen, so ist es mir als gar lieb, daß ich es nicht mag von mir geben oder lassen.“ So hat dieser Mann eine gute Erinnerung, gedachte Gotthold, an einem alten Lumpen gefunden; ich möchte diesen auch wohl aufheben und gleichermaßen gebrauchen. Es wird doch anders nichts daraus, wir müssen uns nur in Gottes heiligen Rath und Willen übergeben und mit uns lassen machen, wie es ihm wohlgefällt. Wenn er uns der Welt eine Weile übergiebt, daß sie mit uns, wie der Hund mit dem Lumpen, spielen sollen, wer wills ihm wehren? Zuvörderst da es eine Zeit nur währt und wir versichert sind, daß es aus göttlichem, weisem Rath und väterlichem Wohlmeinen geschieht; hätte er doch guten Fug und Recht, uns dem Willen des Satans zu übergeben ewiglich. Der H. Geist gebraucht öfters von dem Herrn Jesu die Art zu reden: er sei übergeben, dahin gegeben, Apostelg. 2, 23. Rom. 8, 32. Hat nun Gott seinen allerliebsten Sohn übergeben in den Willen seiner Feinde für uns und hat sich dies unschuldige Lämmlein zausen lassen und wie ein Fußtuch hin und wieder werfen, was bilden wir uns denn ein, daß wir es besser haben wollen? Nun, mein Gott! es soll heute dieser Lumpen mein Buch sein; ich will lernen, mich in deinen Willen, ja um deinetwillen in den Willen meiner Feinde übergeben! Es soll mir alles gleich gelten, Hohes und Niedriges, Lieb und Leid, Ehre und Schande in deinem allerheiligsten und süßesten Willen! Wohlan! Welt, wirf mich hin und her, auf und nieder, auf die Bank oder darunter, an das Licht oder in einen finstern Winkel, es gilt mir gleich, du kannst mich nirgends hinwerfen, da mich mein Gott nicht sollte können wieder finden und hervorziehen; es ist leicht zu erdulden, von der Welt verworfen zu sein, wenn man nur von Gott nicht verworfen ist. Ich will schweigen und meinen Mund nicht aufthun, mein Gott! du wirsts wohl machen! Ps. 39, 10.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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