Der Kranke

Gotthold sah einen kranken Menschen, der große innerliche Angst empfand, wie es die häufigen Schweißtropfen an seinem Gesichte bezeugten, sehr unruhig in seinem Bette sich wälzte, welches er auch oft genug verwechselte, und sich von einem Ort zum andern tragen ließ mit vergeblicher Hoffnung, Linderung und Ruhe zu finden. Er seufzte hierüber und dachte bei sich selbst: wie ist’s doch so gar vergeblich, wenn man ein innerliches Anliegen und Beschwerung mit äußerlichen, stets gewechselten Mitteln zu heben gedenkt! Diesem guten Menschen wäre nichts besser, als wenn er sich selbst zwingen und in Geduld und Stillesein Ruhe erwarten könnte. Es geht aber oft mit unserm Seelenanliegen nicht anders zu. Ein betrübtes und beängstigtes Gewissen und ein Herz, von den Pfeilen des Allmächtigen getroffen, sucht oft auch Ruhe in der Unruhe, es macht sich allerlei zu thun, es sucht äußerliche Lust zur Vertreibung der innerlichen Unlust. Als wie ein Hirsch vom Jäger angeschossen, durch Busch und Hecken, über Stock und Stein rennt, womit er zwar sich völlig abmattet, aber die tödtliche Kugel aus seinem Leibe nicht bringt, so bezeugt oft die Erfahrung, daß die verletzten Gewissen von einem Ort zum andern laufen und dennoch allezeit die gefährliche Wunde behalten. In solchen Fällen ist nichts besser, als die stille Geduld und das prophetische Wörtlein: Ich will des Herrn Zorn tragen, denn ich habe wider ihn gesündigt. Mich. 7, 9. Seufzen, Winseln, Weinen ist nicht verboten; Ungeduld aber und unruhiges Laufen macht übel nur ärger. Mein getreuer Gott! sollte nach deinem gnädigen Willen auch meine Seele solche Angst befallen, so gieb, daß ich stille sei in dir, der du mir hilfst. Ps. 62, 2. Mein Herr Jesu! auf dein Wort, wenn ich mühselig und beladen bin, will ich zu dir kommen, bei dir werde ich die gewisseste Ruhe finden. Matth. 11, 28. 29 Soll ich denn ja laufen, so will ich als ein weinendes Kind hinter dir herlaufen. Ich will zu dir, mein Gott! rufen, und du, Herr! wirst mir helfen. Des Abends, Morgens und Mittags, will ich klagen und heulen, so wirst du meine Stimme hören und meiner Seele Ruhe schaffen. Ps. 55,17. 18. 19

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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