Der Kindertod
Einem gottseligen Mann waren zween liebe Söhne von vier und dritthalb Jahren gestorben, die er mit vielen Thränen und großem Herzeleid lange betrauerte. Gotthold merkte, nachdem er eine Weile der Natur ihren Willen gelassen, daß er zu viel machte und sagte: Was hat denn der liebe Gott euch so groß zuwider gethan, daß ihr, wie sehr euch sein Wille mißfallt, mit so häufigen und langwierigen Thränen bezeugt? Er hat eure Söhne weggenommen; bedenket aber, daß sie mehr sein, als euer waren, und daß er, der ihnen das Leben und euch sie verliehen hatte, über ihr Leben mehr, als sie und ihr zu gebieten gehabt; bedenket, von wannen er und wohin er sie genommen, aus der Welt in den Himmel, das ist, aus der Gefahr in die Sicherheit, aus der Sünde in die Vollkommenheit, aus dem Mangel in den Reichthum, aus dem Leid in die Freud, aus dem Ungewitter in die Stille, aus dem Tode ins Leben. Er hat ihre Seele aus dem Tode gerissen, ihre Augen von den Thränen, ihren Fuß vom Gleiten, sie wandeln vor dem Herrn im Lande der Lebendigen. Ps. 116, 8. 9. Wie? gönnt ihr ihnen denn nicht, daß sie eher in den Himmel kommen, als wir? Ist es nicht eine seltsame Sache, daß wir über die mancherlei Noth, Angst, Beschwerde und, mit einem Wort, über das wie eine Kette an einander gegliederte Elend des menschlichen Lebens so oft und so sehnlich klagen und dennoch gleichsam mit dem frommen Gott zürnen, wenn er die, so uns am liebsten sind, davor sichert, als wäre es uns leid, daß sie nicht so viel Unglück erfahren, als wir? Ach, wie oft habe ich gehört, daß betrübte, arme, sorgende, sterbende Eltern gewünscht, daß sie ihre Kinder mit in den Himmel nehmen könnten, so wollten sie fröhlich und willig sterben; so ists ja besser, wenn man sie nicht erst mitnehmen darf, sondern wenn sie schon vorher drinnen sind. Ich weiß, daß einmal ein frommer Prediger bei gefährlichen Kriegsläuften vom Lande in eine benachbarte Stadt mit den Seinigen hat fliehen müssen, woselbst, weil die Blattern oder Pocken sehr grassirten, ihm von denselben auch seine beiden Kinderlein mit hinweg gerafft worden, darüber die Eltern nicht weniger, als ihr jetzt, sich betrübt; weshalb sie auch mit Kummer und Herzeleid, nachdem es auf dem Land wieder sicher geworden, aus der Stadt, in welcher sie ihren liebsten Schatz verlassen mußten, gezogen. Was geschieht? Bald nachher geschieht selbiger Orten ein neuer, unverhoffter und feindlicher Ueberfall, daß sie nebst ihren Nachbarn bei nächtlicher Weile in die nächstgelegenen Moräste und sumpfiges Gebüsch fliehen müssen, nichts, als das Leben mit sich nehmend. Als sie nun daselbst in großem Ungemach, in Hunger und Frost und tausenderlei Sorgen gesessen, sehen sie, wie etliche ihrer Nachbarn die meiste Betrübnis, wegen ihrer Kinder haben, welche weinten und winselten, maßen sie sich vor Kälte und Hunger nicht schützen konnten; da nehmen sie Ursach zu erkennen, wie wohl Gott an ihnen gethan, und wie großer Sorge er sie befreit, da er ihre Kinder in sichern Gewahrsam durch den zeitlichen Tod gebracht, danken ihm für seine Schickung und bitten um Verzeihung wegen ihrer unbedachtsamen Ungeduld, damit sie sich seinem allezeit guten Willen widersetzt. Ich zweifle nicht, wenn euer Gemüth von den Wolken der Traurigkeit in etwas entledigt werden wird, ihr werdet erkennen, daß es der fromme Gott nicht böse machen oder meinen kann; der liebe Gott muß auch oft uns viel zu gut halten und zu uns sagen: Was ich thue, das weißt du jetzt nicht, du wirsts aber hernach erfahren. Joh. 13, 7.
O wie selig seid ihr doch, ihr Frommen,
Die ihr durch den Tod zu Gott gekommen.
Ihr seid entgangen
Aller Müh, die uns noch hält gefangen!
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