Der Kalender

Gotthold ward ein Kalender, aufs künftige Jahr gerichtet, vorgezeigt; er sagte hierauf: Es ist dies ein gemein und klein Buch und steht sehr viel daraus zu lernen, wer es nur recht zu gebrauchen weiß. Was, sagte ein anderer, soll aus solchem Lügenbuch Großes zu lernen sein, ohne daß es uns Nachricht von der Zeit, von dem Zu- und Abnehmen des Mondes und der Tage giebt? Sonst erinnere ich mich, daß ein weiser Mann den Platz, welchen die Kalenderschreiber mit Beschreibung des Wetters und andern Weissagungen erfüllen, pflegte das Lügenfeld zu nennen, wie sie denn selbst auch mehrentheils gestehen müssen, daß sie zwar die Kalender, Gott aber das Wetter macht. Gotthold antwortete: Ich möchte wünschen, daß die Herren Sternseher öfters mit ihren vielfältigen Verkündigungen zukünftiger Dinge etwas an sich hielten, so möchte ihrem Gewissen vor Gott und ihrem Ansehen vor der Welt besser gerathen sein! Daß aber aus dem Kalender sonst viel guter Erinnerung zu nehmen, kann ich leicht erweisen. Erstlich betrachtet, daß die Tage nach einander in einer Reihe überwärts gesetzt werden, die Reihe pflege ich die Stufen der Ewigkeit zu nennen, denn wir steigen gleichsam von einem Tage zum andern hinab ins Grab oder hinauf zu dem Richterstuhl Christi; jemehr Tage wir vollbringen, je näher wir der Ewigkeit und dem Gerichte kommen, da wir von allen unsern Tagen und Zeiten Rechenschaft geben müssen. Findet ihr dann die Zeichen, welche das Zu- und Abnehmen des Mondes bedeuten, so gedenket, daß alles, was unter dem Mond ist, der Eitelkeit und Unbeständigkeit unterworfen, und wie der Mond, wenn er voll, nothwendig wieder abnehmen muß, also die menschliche Glückseligkeit, wenn sie in ihrer Fülle steht und aufs Höchste gestiegen, hat nichts übrig, als daß sie wieder abnehme und falle. Jener kluge Edelknabe, der bei einem spanischen Herrn in Diensten, welcher einen halben Mond im Wappen führte, schrieb zu demselben, als er es an einem Ort abgemalt fand: Nimmer voll! und gab auf Befragen, wie es gemeint sei, zur Antwort: er wünschte, daß der Glücksschein seines Herrn nimmer möchte zur Vollheit kommen, denn sonst würde das Abnehmen nicht weit sein. Und hierauf zielen auch etlicher Ausleger Meinung nach Hiobs Worte, 31, 26.: Hab ich das Licht angesehen, wenn es helle leuchtet, und den Mond, wenn er voll ging? Die falsche Weissagung laßt euch lehren, daß es nicht geht, wie Menschen wollen und meinen, sondern wie der Herr will. Die guten Kalenderschreiber bemühen sich manchmal sehr mit vielem Rechnen, Grübeln und Nachsinnen, daß sie das künftige Wetter, so gut sie können, beschreiben, müssen aber endlich gestehen, daß Gott der Oberregent des Wetters sei und sich an ihre Regeln und Rechnung nicht binden lasse; will man sie aber hierüber auslachen, so werden wir wol mehr in den menschlichen Händeln finden, das lachenswerth, maßen oft die klügsten Leute in den wichtigsten Sachen, die sie doch mit großem Witz, Fleiß und Mühe treiben, sich betrogen finden und endlich bekennen müssen, daß Gottes Handwerk sei, die Anschläge der Listigen zu nichte zu machen und den Rath der Verkehrten zu stürzen. Hiob 5, 12. 13. Die Kalenderschreiber pflegen auch etliche Tage für glückselige, etliche für verworfene und unglückselige anzugeben; dies ist ohne Zweifel ein Tagwählen und in Gottes Wort verboten; ein Christ aber hat keinen glückseligern Tag, als darinnen er seinen Willen brechen und Gottes Willen vollbringen mag, und keinen verworfneren, als welchen er durch Unvorsichtigkeit mit einer Sünde befleckt. Endlich findet man im Kalender die Namen der h. Apostel, Märtyrer, Bekenner, Bischöfe, Frauen und Jungfrauen, damit mehrentheils der Tag ihres Abschieds ans der Welt bezeichnet ist. Gedenket hierbei an das große Buch des Lebens, darinnen die Namen aller Gläubigen und Auserwählten stehen, und die Worte eures Heilandes, Luc. 10, 20.: Freuet euch, daß eure Namen im Himmel geschrieben sind, und strebet darnach, daß nach eurem Hintritt aus der Zeitlichkeit euer Name und Ruhm, wo nicht im Kalender, doch im Gedächtniß der Gläubigen und Frommen zu finden sei. Mein Gott! ich finde es wahr, daß kein Buch so schlimm, daraus man nicht etwas Gutes lernen kann. Deine Hand hat allenthalben gute Lehren, Unterricht, Warnung und Trost angeschrieben, gieb nur erleuchtete Augen und Herzen, daß wir sie mit Nutzen und zu unserer Besserung lesen mögen

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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