Der Jähzorn

Eine feine und sonst gottselige Frau klagte, daß sie zum geschwinden Zorn sehr geneigt wäre und oft über eine Kleinigkeit zu großem Eifer, der sie blaß und zitternd mache, bewogen würde, welcher zwar in kurzer Zeit wieder verginge, ihr aber die Reue und Betrübniß im Herzen und Benachtheilung der Gesundheit in allen Gliedern hinterließe. Gotthold sagte: Danket Gott, daß er euch zur Erkenntniß dieses eures sündlichen Fehlers hat kommen lassen, daß ihr denselben entweder für keine, oder ja für eine geringe Sünde nicht achtet, denn dies ist die erste Stufe zur Besserung, wenn man weiß, wo man Besserung bedarf. Und ich zweifle nicht, daß ihr dieses Mangels gerne los wäret, das ist die andere Stufe; daß ihr auch fleißig dawider betet, das ist die dritte. Sonst, wenn Man von zweien Uebeln das beste erwählen soll, ist der geschwinde Eifer, wie leicht er sich auch oftmals rege machen läßt, dennoch besser, als der heimliche und tückische Grimm, der, je mehr er sich verbirgt, desto länger brennt und gemeiniglich zu seiner Zeit in ein unlöschbares Rachfeuer heraus bricht. Der geschwinde Zorn ist wie die Flamme in Werg und Stroh, welche eilends auflodert und eilends Vergeht, und die Leute, so damit behaftet, sind gemeiniglich aufrichtig, treu und ehrlich, und wenn die fliegende Hitze vorbei ist, bringen sie mit Gutthätigkeit wieder ein, was sie zuvor versehen haben. Der langsame Zorn aber ist wie die Schwefellohe oder wie das Feuer im feuchten Holz, welches, je später es zur Macht kommt, desto mehr Glut hernach giebt. Die Leute, so, wenn ihnen etwas zuwider geschieht, tückisch schweigen, lächeln und sich in der Gegenwart keines Dinges annehmen, die sammeln alles ein und legen es tief in den Sinn, auf daß sie es zu gelegner Zeit mit größerer Rache ausschütten. Sie sind den Böcken gleich, welche weit und allmälig zurückgehen, wenn sie einen starken Stoß thun und jemanden zu Boden rennen wollen. Vor solchen hat man sich billig zu hüten. Ihr aber, weil ihr eure Natur kennt, so leget ihr da den stärksten Zügel an, wo sie am meisten hinaus will, stopfet und bessert da am meisten, wo das Wasser über und durch den Damm reißen will; habt allezeit vor Augen die Langmuth und Leutseligkeit Gottes und die Freundlichkeit des sanftmüthigen Herrn Jesu und höret nicht auf, ihn täglich anzuflehen, daß er mit einem Tröpflein seiner Güte euer hitziges Herz abkühle, so werdet ihr erfahren, was Gottes Gnade und Geist und unser Gebet und Kampf wider unsere Natur vermag.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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