Der Irrweg
Als Gotthold mit einem guten Freund über Land gereist, hat sie bei neblichtem Wetter die stockfinstre Nacht übereilt, da es denn bald geschehen, daß sie des rechten Weges verfehlt und auf einen andern gekommen sind, welcher, wohin er sie endlich bringen würde, sie bei so gestalteten Sachen nicht wissen konnten. Bald kam das dazu, daß ihnen am Wagen etwas zerbrach, welches sie kümmerlich genug wieder ergänzen mußten; wenn sie einen Baum sahen, meinten sie, es wäre ein Thurm, ein Gebüsch hielten sie für ein Dorf und also fuhren sie mit großem Verdruß zwischen Furcht und Hoffnung, bis sie endlich ein Dorf erreichten. Gotthold sagte: Nehmet hiebei wahr, was für ein Unterschied sei zwischen dem, der in seinem Beruf Fuß hält und einem andern, der fürwitzig ist und aus dem Wege seines Berufs sich verleiten läßt. Jener, wenn ihm schon ein und anderer Unfall zu Handen stößt, wenn er aus einer Pfütze in die andere kommt, wenn ihn schon die Nacht der Trübsal überfällt, so denkt er doch stets: so ist’s dennoch der rechte Weg, welchen zu wandeln mich mein Gott berufen hat, und kann’s nicht fehlen, er wird mich dennoch endlich dahin bringen, wo ich’s wünsche, und in diesen Gedanken überwindet er mit standhafter Geduld alle Widrigkeit. Der andere aber, welchem sein Gewissen sagt, daß er zur Seite abgewichen und mehr zu verrichten gesucht, als ihm befohlen war, sobald ihm ein Unfall zu Handen kommt, läßt den Muth sinken, wird überdrüssig, voller Sorge und Furcht, und, weil er nicht weiß, was sein irriges Vornehmen für einen Ausgang gewinnen will, hat er Zeit, seine Thorheit zu bereuen und Gott um Hülfe anzuflehen; darum laßt uns stets eingedenk verbleiben der Erinnerung des weisen Mannes“ der da sagt: Was Gott dir befohlen hat, deß nimm dich stets an, denn es frommt dir nichts, daß du gaffest nach dem, das dir nicht befohlen ist, und was deines Amts nicht ist, da laß deinen Fürwitz, denn dir ist vor mehr befohlen, weder du kannst ausrichten. Sir. 3, 22. ff
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